Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung scheinen anfällig für Neonazismus zu sein. Ein Gespräch mit Toralf Staud
Interview: Eren Güvercin Haben Sie bei bei den Recherchen für »Das Buch gegen Nazis« herausgefunden, wie weit der Rechtsextremismus in Deutschland wirklich verbreitet ist?Wenn man sich der Interpretation dieses Begriffes durch Sozialwissenschaftler anschließt, kann man auf Grundlage von Umfragen sagen, daß bis zu 30 Prozent der Bevölkerung regelmäßig rechtsextremistisches Gedankengut von sich geben: Ausländerfeindliches, Rassistisches und Antisemitisches.
Neonazis konnte man früher leicht anhand der Springerstiefel und der Bomberjacke identifizieren. Seit ein paar Jahren kann man sie aber oft kaum noch von Autonomen unterscheiden …
Die rechtsextremistische Jugendszene hat sich seit gut zehn Jahren grundlegend gewandelt. Springerstiefel und Bomberjacken gibt es zwar immer noch – sie repräsentieren jedoch nicht mehr die Hauptströmung. Gerade das Ruhrgebiet ist eine Hochburg der sogenannten »autonomen Nationalisten«, die sich wie Angehörige der linksautonomen Szene kleiden. Sie kopieren sogar häufig deren Logos, Bekleidungsstile und Auftreten – haben im Kern aber eine neonazistische Ideologie. Auf NPD-Parteitagen fällt auf, daß sich viele Kader sehr bürgerlich geben. Denen sieht man nicht mehr an, daß sie Rechtsextremisten sind.

Toralf Staud bei der Vorstellung seines Buches in der Buchhandlung Ludwig in Köln
Ist das eine neue Strategie, um mit einer anderen Jugendkultur mehr junge Menschen zu erreichen?
Strategen der rechten Szene haben schon vor 15, 20 Jahren gefordert, die Szene müsse ihr Äußeres ändern, sich für die Popkultur öffnen und unterschiedliche Stile anbieten. Diese Strategen haben die Entwicklung zwar nicht gesteuert, aber diese Szene ist wie in einer lebendigen Jugendkultur immer größer geworden und hat sich ausdifferenziert. Rechte Segmente findet man heute in den unterschiedlichsten Musikrichtungen – bei Heavy Metal, in der Hardcore-Szene, bei den Liedermachern, beim HipHop.
Konzentriert sich rechtsextreme Ideologie besonders auf soziale Brennpunkte? Oder auf die sogenannte Unterschicht?
Bei den Wählern ist es in der Tat so, daß junge und männliche Wähler mit geringer Bildung überproportional rechte Einstellungen haben. Aber es gibt auch Akademiker, die NPD wählen. Wenn man sich die Gruppe der Parteimitglieder oder auch die der rechtsextremen Gewalttäter anschaut, findet man nicht nur Arbeitslose – die meisten sind kleinere Handwerker, Gewerbetreibende, Arbeiter, manche sogar Studenten. Auf letztere trifft man jetzt auch immer häufiger in der NPD-Jugend.
Die Partei betreibt es sehr geschickt, sich im vorpolitischen Raum zu verankern. Sie versucht, in die Freiwillige Feuerwehr einzusickern oder in Sportvereine, mitunter werden gar eigene Clubs gegründet. In der Sächsischen Schweiz zum Beispiel macht die NPD Freizeitangebote für Jugendliche: Bergwanderungen, Klettern usw. In manchen Gemeinden ist sie es, die das alte Kriegerdenkmal von Unkraut befreit oder sich für längere Öffnungszeiten von Jugendclubs einsetzt. NPD-Mitglieder kandidieren in Schulen für die Elternvertretungen oder versuchen, Schöffe zu werden. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen versuchen Rechtsextreme, sich zu verankern und beliebt zu machen, bevor sie sich outen.
Kurz vor der Bundestagswahl kam erneut die Diskussion über ein NPD-Verbot auf. Was brächte das Ihrer Ansicht nach?
Ich glaube nicht, daß ein Verbot etwas bringen würde – viele NPD-Kader bringen Erfahrung dafür mit, sie waren zuvor schon in verbotenen Organisationen. Es würde die Partei nur für kurze Zeit irritieren und nicht die rechtsextremen Einstellungen beseitigen. Es gibt eben eine Nachfrage danach, wenn man es marktwirtschaftlich ausdrücken würde. Diese Nachfrage würde nach einem Verbot der NPD von anderen Organisationen bedient. Es wäre also viel wichtiger, die Ursachen des Rechtsextremismus anzugehen.
Ist es richtig, daß unter den rechtsextremistischen Organisationen eine zunehmende Islamophobie grassiert?
Rechtsextremisten versuchen in der Tat seit ein paar Jahren, Abneigungen und Vorurteile gegen den Islam zu instrumentalisieren. Das hat aber wohl keinen flächendeckenden Erfolg – in der breiten Bevölkerung scheint die Islamophobie nicht zuzunehmen. Aber ich finde es fast besorgniserregender, wenn in demokratischen Parteien und im Mainstream Vorurteile gegen den Islam oder gegen die Muslime gepflegt werden. Also da wäre bei so manchem konservativen Politiker finde ich eine andere Einstellung, eine andere Offenheit doch wichtig, gerade um zu zeigen, wenn man Ressentiments gegen Muslime predigt, dann ist man ein Rechtsextremist. Da sind die Grenzen – gerade auf kommunaler Ebene – manchmal fließend.
Toralf Staud/Holger Kulick: Das Buch gegen Nazis. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 304 Seiten, 12,95 Euro