Aus der Deckung

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Ibrahim Abu Nagie bekommt als Initiator der Koran-Verteilung eine Menge PR und bringt sogar die Islamkonferenz in Wallung. Doch die Aufregung ist übertrieben

Noch vor wenigen Tagen war Ibrahim Abu Nagie den meisten Menschen in Deutschland kein Begriff. Selbst viele Muslime hatten von ihm noch nichts gehört. Die auf ihn zurückgehende kostenlose Koran-Verteilung in vielen Städten hat ihn nun – mit Hilfe der Medien – deutschlandweit bekannt gemacht.

Als vergangenes Wochenende etwa in Berlin Salafisten an einem Stand Korane an die Passanten abgeben wollten, hatte man das Gefühl, dass sich eigentlich kaum einer dafür interessierte. Man kennt das von den Zeugen Jehovas, für die man schon fast Mitleid hat, wenn sie verbissen versuchen, einem ihre Heftchen unterzujubeln. Man lächelt den Damen und Herren einfach zu und geht weiter. Bei Abu Nagie sah die Sache anders aus. In Berlin und in vielen anderen Städten umlagerten Fotografen und Kameraleuten die Stände seiner Aktion, so dass er die Aufmerksamkeit bekam, die er wollte.

Geld aus Saudi-Arabien

Bis dahin kannten den 47-jährigen Prediger, der palästinensischer Herkunft ist und in den achtziger Jahren in die Bundesrepublik übersiedelte, fast nur seine Jünger und die Leute, die sich mit salafistischen Strömungen beschäftigen. Er selbst erzählt Medienberichten zufolge über sich, er sei mit 18 Jahren aus dem Gaza-Streifen nach Iserlohn gekommen, um Elektrotechnik zu studieren, und habe später als Geschäftsmann Millionen verdient.

Allerdings wird auch kolportiert, der Vater dreier Kinder lebe nun schon seit Jahren von Hartz IV und wohne in der Nähe von Köln in einem Reihenhaus. Wie er die angekündigte Verteilung von 25 Millionen Koranexemplaren finanziert, ist unklar. Angeblich werden die Kosten aus Spenden gedeckt. Experten nehmen aber an, dass unter anderem aus Saudi-Arabien Geld an Salafisten in Deutschland fließt, damit diese ihre Version des „wahren Islam“ unter die Leute bringen können.

Abu Nagies Predigten auf Youtube und in Moscheen brachten ihm vor allem unter jungen Muslimen eine gewisse Gefolgschaft. Er selbst sagt über sich, vor etwa zehn Jahren habe er zur „wahren Religion“ gefunden. Seitdem widmet sich der graubärtige Prediger der Verbreitung einer streng fundamentalistischen Auslegung des Koran. Einer seiner Weggefährten ist der deutsche Konvertit Pierre Vogel, der sich aber inzwischen von Abu Nagie distanziert hat, weil dieser ihm zu radikal geworden ist.

„Für ewig in die Hölle“

2.500 bis 5.000 Salafisten soll es derzeit in Deutschland geben. Der Verfassungsschutz beobachtet sie seit Jahren. Abu Nagie selbst unterstellen die Behörden ein zwiespältiges Verhältnis zur Gewalt, unter anderem wegen solcher Zitate wie „Möge Allah uns alle als Märtyrer sterben lassen“ und der düsteren Prophezeihung, alle Andersgläubigen kämen „für ewig in die Hölle“. Innenpolitiker wie der CSU-Experte Hans-Peter Uhl meinen, „die Lage hat sich verschärft“. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann verlangt sogar einen „Pakt gegen den Salafismus in Deutschland“ und versuchte vor der Islamkonferenz im Donnerstag deshalb die Tagesordnung umzuwerfen.

Doch haben die dramatischen Warnungen über einen angeblichen Vormarsch der Strömung unter den insgesamt vier Millionen Muslimen in Deutschland mit der Realität wohl nicht sehr viel zu tun. Auch die Behörden räumen ein, dass nur eine Minderheit der Salafisten mit Gewalt liebäugelt. Bei den meisten Jugendlichen, die Abu Nagie folgen, handelt es sich wohl nur um eine Episode, die nach der Pubertät schnell vorüber geht.

Islamische Verbände wie der Koordinierungsrat der Muslime haben sich von der Koran-Verteilung distanziert, bei der vor allem junge Männer die edel gebundene Schrift mit der Aufforderung „Lies!“ unters Volk bringen. Das heilige Buch dürfe nicht als Werbung für eine bestimmte Gruppe instrumentalisiert werden. Andere Muslime warnen, die in den Fußgängerzonen verschenkten Exemplare könnten schnöde im Altpapier landen.

Gegenpropaganda mit der Bibel

Viele Gläubige, denen die winzige fundamentalistische Minderheit suspekt ist, dürften auch mit Sorge sehen, dass die PR-Aktion der Salafisten gleichzeitig anti-islamische Gruppen auf die Straßen lockt. So postierte sich bei der Verteilung am Potsdamer Platz in Berlin auch die islamfeindliche Partei Die Freiheit mit Gegenpropaganda. In Hannover tummelten sich gleichzeitig die rechtspopulistischen Hannoveraner und die christliche Initiative Bürger für Dialog und Wahrheit, die Bibeln und Grundgesetze verteilte.

Andererseits behauptet trotz der medialen Aufregung niemand, dass die Verteilaktion strafbar oder nicht vom Grundgesetz gedeckt sei. Missionieren ist in einem Land mit Religionsfreiheit nicht verboten. Religionsgemeinschaften dürfen für ihren Glauben werben, so wie die Parteien für ihre Programme, Verlage für ihre Bücher und damit Ideen. Es ist das Recht der Gläubigen, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu bekennen. Atheisten steht es ebenso frei, für ihre Lehre öffentlich Anhänger zu suchen. Voraussetzung ist, dass alle immer darauf achten, nicht den öffentlichen Frieden zu verletzen und Andersdenkende nicht zu kriminalisieren. Gedanken sind ist vor staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle geschützt. Darauf beruht der liberale Rechtsstaat. Deutschland hat es jahrzehntelang ausgehalten, dass Zeugen Jehovas oder Mormonen ihre Broschüren in den Innenstädten verteilen. Nun sollte man auch die Wanderprediger, die den Koran verteilen, nicht wichtiger machen, als sie sind.

http://www.freitag.de/politik/1216-aus-der-deckung

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