Ja, viele Muslime haben so ihre Meinung über ‚die Medien‘. Auch über die Zeitschrift Focus haben Muslime so ihre Meinung, spätestens seit der Titelstory „Die dunkle Seite des Islam“ aus dem letzten Jahr. Den Focus-Redakteur Michael Klonovsky, einer der Verantwortlichen dieser Titelstory, traf ich kurz danach, und es entwickelte sich ein intensiver Austausch, der für beide Seiten sehr erfrischend war. Wir kamen noch einmal zusammen, diesmal um über die ‚helle Seite‘ des Islams zu sprechen. Das Ergebnis ist eine siebenseitige Reportage im aktuellen Focus mit Porträts von mir, Dr. Tuba Isik, Engin Karahan, Cemil Sahinöz, Achim Seger und Tahir Chaudhry. Hier ein Auszug:
Der Intellektuelle
„Ein ‚liberaler‘ Islam? Was soll das sein? Ich kann nicht liberal beten“, sagt Eren Güvercin. Man möge nicht vermischen, was nicht zusammengehöre. Der Kölner, 1980 als Sohn türkischer Eltern geboren, arbeitet als freier Journalist und ist Autor des Buches „NeoMoslems. Porträt einer deutschen Generation“. Was das ist? „Sie sehen sich in erster Linie als Deutsche, machen aber keinen Hehl daraus, Muslime zu sein.“ Güvercin, der Goethe und Ernst Jünger liest, ist habituell ein typischer europäischer Intellektueller, der ebenso in einem Pariser Café über Camus sprechen könnte, wie er jetzt bei einem Kölner Italiener über den Islam spricht. „Man soll kulturelle Identitäten nicht religiös erklären oder begründen“, sagt er. Türkei sei nicht gleich Islam. „Türken sind Türken. Und wie es spezielle Ausprägungen des Islam gibt, kann es auch eine deutsche Version geben.“ In der Einwanderungsfrage besteht für Güvercin ein Hauptproblem darin, „dass eine nüchterne Debatte fast unmöglich ist“. Für echte Flüchtlinge sollte Deutschland Verantwortung übernehmen. „Aber man muss die Multi-Kulti Romantik in Fage stellen dürfen, ohne sofort regelrecht für vogelfrei erklärt zu werden.“ Den Islamismus nennt Güvercin „eine kranke Mischform aus westlich-politischem Denken und Islam“. Er beruft sich auf den Islamwissenschaftler Thomas Bauer, der in seinem Buch „Die Kultur der Ambiguität“ demonstriert, wie die zunehmende Ideologisierung des Islam im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Nachlassen der muslimischen Toleranz gegen Andersgläubige geführt habe.
Das Gottesbarbarentum des IS sei keineswegs ein mittelalterliches Phänomen, sondern im Gegenteil ein modernes, denn die traditionellen islamischen Rechtsschulen hätten die rigide Teilung der Welt in wahr und falsch nicht gekannt, statuiert Güvercin. Verschwunden sei leider die altorientalische Neigung zur Mehrdeutigkeit. Auch die salafistische Vorstellung, dass am Koran nichts zu interpretieren sei, entstamme der jüngeren Gegenwart. „Ohne Kommentar ist der Koran nicht zu verstehen“, erklärt Güvercin. Die Vordenker der Dschihadisten bedienten sich aus der Schrift „wie aus einem Werkzeugkasten“. Auch die Islamkritiker zögen sich heraus, was ihnen gerade passe – „da sind sie den Salafisten erstaunlich ähnlich“. Güvercin streitet für die Unverfügbarkeit seiner Religion, wer auch immer sich anmaßt, über den Glauben bestimmen zu wollen. Über die von Saudi-Arabien finanzierte König-Fahd-Akademie in Bonn sagte er: „Warum unterbindet das der deutsche Staat nicht? Da werden Leute radikalisiert.“ Aber wenn die CDU ein Thesenpapier zum Islam vorlegt, ist ihm das ähnlich suspekt: „Was geht sie das an? Das Schlimmste wäre ein offizieller Staats-Islam mit Kirchensteuer. So etwas hat es im Islam nie gegeben.“ Überhaupt ärgeren ihn die sich ausbreitende „Gesinnungsschnüffelei“ und der „Wertezwang“. „Man ist dauernd mit irgendwelchen Gesinnungstestfragen konfrontiert, etwa wie man zur Homosexualität steht.“
Die obligate Frage, was er davon hielte, wenn seine (noch nicht vorhandenen) Kinder einen Nichtmuslim heiraten würden, beantwortet Güvercin am lockersten: „Am besten, sie heiraten jemanden, den sie lieben. Muslim kann er ja immer noch werden.“ (…)“