Die Demonstration schadet der deutsch-türkischen Community

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Es ist gerade einmal zwei Wochen her, als ein Putschversuch die Türkei in einen kollektiven Schockzustand versetzt hat. Nicht nur die Türkei, sondern auch die in Deutschland lebenden türkeistämmigen Menschen. In dieser Nacht machten die Deutsch-Türken kein Auge zu und verfolgten über die türkischen Fernsehsender, die sozialen Medien und über Verwandte die Entwicklungen. Es war ein traumatisches Erlebnis. Die Bilder von Panzern und Kampfflugzeugen, die Zivilisten angriffen und viele Menschen töteten, haben sich in die Köpfe der Menschen festgesetzt. Da die türkeistämmigen Menschen in Deutschland nicht einfach nur zusehen wollten, während Freunde und Verwandte in der Türkei auf den Straßen den Putschisten Widerstand leisteten, versammelten sie sich spontan vor den türkischen Konsulaten und Botschaften in Deutschland, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen, unabhängig davon ob man AKP-Anhänger ist oder nicht. Von Seiten der deutschen Medien und Politiker gab es dazu kein Verständnis, stattdessen wurden durch einseitige Berichterstattung und unbedachte Aussagen seitens einiger Politiker, die schon fast traurig waren, dass der Putsch scheiterte, die Deutsch-Türken vor den Kopf gestoßen.

An diesem Sonntag wird in Köln jetzt nach zwei Wochen zu einer Großdemonstration aufgerufen. Das Motto lautet „Ja zur Demokratie. Nein zum Staatsstreich.“. Auch wenn behauptet wird, dass zahlreiche türkische Vereine und Verbände an dieser Demonstration mitwirken, ist jedem klar, dass es die UETD ist, die diese Demonstration organisiert. Im Vorfeld dieser Demonstration gab es hitzige Debatten darüber, ob sie stattfinden soll oder nicht. Politiker gaben Statements ab, dass eine Pro-Erdogan-Demonstration in Deutschland keinen Platz haben dürfe.  Andere legten den Teilnehmern an dieser Demonstration nahe, doch das Land zu verlassen, wenn sie Erdogan so sehr lieben.

Jenseits dieser populistischen Aussagen sollte man sich allerdings trotzdem die Frage stellen: Was bringt diese Demonstration den hier lebenden Deutsch-Türken? In ihren spontanen deutschlandweiten Demonstrationen in der Nacht des 15. Juli haben die Deutsch-Türken ihre Solidarität gezeigt, was für eine Funktion spielt dann jetzt diese erneute Demonstration in Köln?

Die UETD behauptet von sich eine Lobbyorganisation zu sein, die die Interessen Türken in Deutschland und Europa vertreten wolle. Wenn dem so ist, muss sich diese Organisation aber bitte schön auch die Frage gefallen lassen, was sie bisher an Lobbyarbeit für diese Gruppe geleistet hat? Außer Großveranstaltungen, in der Politiker aus der Türkei hier präsentiert werden, hat man nicht viel an inhaltlicher Arbeit mitbekommen. Nein, da muss ich mich präziser ausdrücken: man hat bisher gar keine inhaltliche Arbeit gesehen!

Insbesondere die UETD aber auch andere türkische Verbände haben bisher bei elementaren Themen, die die hier lebenden Türken direkt betreffen, nur geschwiegen. Weder beim NSU-Terror, noch bei Themen wie dem Islamischen Religionsunterricht, der Islamischen Theologie, Rechtspopulismus, sozialen Fragen und anderen gesellschaftlichen Themen, die alle Menschen hier betreffen, hat man eine Positionierung vorgenommen oder einen eigenen Beitrag geleistet. Stattdessen ist man leidenschaftlich dabei Demonstrationen zu organisieren, die für populistische Politiker aus CDU, SPD, Grünen und natürlich auch der AfD als Steilvorlage dienen, um ihre Ressentiments und Vorbehalte gegen Türken und auch Muslime weiter in die Gesellschaft zu tragen.

Wo waren diese engagierten ‚Lobbyisten‘ bei brennenden Fragen wie dem NSU-Komplex? Haben sie die Arbeit der Untersuchungsausschüsse verfolgt, die Gerichtsverfahren und die gesellschaftliche Debatte über die Rolle des Verfassungsschutzes? Haben sie dazu sich geäußert, Forderungen gestellt und die gescheiterte Aufklärung dieses Skandals bei den politischen Verantwortlichen thematisiert? Nein, stattdessen sind es deutsche Journalisten und andere zivilgesellschaftliche Akteure, die unangenehme Fragen stellen und Widersprüchlichkeiten aufdecken.

Auch zur Gefahr des immer größer werdenden Rechtspopulismus ist keinerlei Aktivität, keinerlei inhaltliche Arbeit zu beobachten, außer inhaltsleeren Presseerklärungen, die keiner ernst nimmt. Man beschwert sich über die Medien, hat aber keinerlei Medienarbeit vorzuweisen. Stattdessen ist man Weltmeister darin negative Schlagzeilen zu produzieren. Und da muss man dann die Frage stellen dürfen, für wen sie eigentlich Lobbyarbeit machen. Wenn man sich das desaströse Ergebnis anschaut, dann definitiv nicht für die Menschen, die man angeblich vertritt.

Diejenigen, die in Deutschland auf Demonstrationen setzen, realisieren nicht, was für einen Scherbenhaufen sie hier jedes Mal hinterlassen. Ein Scherbenhaufen für die hier lebenden Deutsch-Türken, für die muslimischen Religionsgemeinschaften und für andere engagierte Deutsch-Türken. Die Arbeit der Religionsgemeinschaften wird um Jahre zurückgeworfen, und daran haben diese Religionsgemeinschaften aber auch ihren Anteil, in dem sie sich nicht klar genug positionieren und jedes Mal überreden lassen, mitzuziehen. Leider sind einige immer noch nicht in der Lage zu sehen, in was für eine Richtung die Debatte seit geraumer Zeit geht. Österreich hat es mit dem Islamgesetz vorgemacht, wie schnell es gehen kann, die Religionsgemeinschaft an die Leine zu nehmen. Zwar wird es in Deutschland rechtlich schwierig sein, ein Islamgesetzt wie in Österreich einzuführen, aber die Entwicklung geht in die Richtung ähnliche Verhältnisse auch hier zu schaffen. Und es sind in erster Linie die eigenen Aktionen der deutsch-türkischen Community, die diese Entwicklung weiter vorantreiben.

Das mag einigen Politikern aus der Türkei, die gerne in Deutschland auftreten, nicht bewusst oder auch einfach egal sein, aber für die Deutsch-Türken ist dies eine elementare Frage. Solange die Deutsch-Türken aufgrund der zu Recht kritisierten tendenziösen und unfairen Berichterstattung sich immer weiter treiben lassen, statt zu überlegen, was die Konsequenz sinnloser Aktionen sind, darf man sich nicht wundern, wenn man sich immer mehr in eine Art geistiges Ghetto zurückzieht. Die Reaktion hat längst eigene Aktionen ersetzt, die Empörung hat längst die Reflektion verdrängt. Damit treibt man ironischerweise die eigene Marginalisierung voran, statt inne zu halten und zu reflektieren, und erst dann zu handeln. Die Konzeptionslosigkeit, die fehlende Strategie verleitet die Menschen immer mehr zu emotionalen Reaktionen. Das Muster wiederholt sich immer wieder: da keine eigene inhaltlich fundierte Arbeit existiert, muss man mit Demonstrationen und Protestkundgebungen wenigstens simulieren, dass man etwas macht.  Man braucht Alibis, um Ankara zu beeindrucken, wenn man schon nichts vorzuweisen hat. All dies wird morgen zum wiederholten Male wieder zur Schau gestellt. Und die Teilnehmer werden ihrer eigenen Marginalisierung zujubeln. Seltsame Zeiten.

1 Kommentar

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  2. Ariana says

    Was für eine treffende, pointierte Analyse, danke Herr Güvercin! Genau das ist das Problem! Innenpolitische Probleme gehen uns alle was an, auch die Deutsch-Türken, die Arbeit darf man nicht nur den Grünen/Linken und der „biodeutschen“ Zivilgesellschaft aufbürden. Solche sinnlosen Machtbekundungen machen die Arbeit dieser Zivilgesellschaft leider wieder zu nichte.
    Ich wünsche mir einfach mal mehr Selbstkritik und Reflexion bei den Deutsch-Türkischen Mitbürgern, das ist ehrlich und gut gemeint! Fangt endlich an, vor der eigenen Haustür zu kehren, ihr habt hier genug eigene Probleme und müsst nicht auf Knopfdruck für entfernte Politiker tanzen !

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