Staatssekretär Markus Kerber hat sich in einem Interview zur künftigen Zusammensetzung und auch inhaltlichen Ausrichtung der Deutschen Islam Konferenz geäußert. Neben den Vertretern muslimischer Verbände sollen demnach auch Vertreter der muslimischen Zivilgesellschaft jenseits der Verbände und Einzelpersonen mitwirken. Auf die Frage, ob es einen „deutschen Islam“ gibt und wie er inhaltlich definiert werden kann, könnten „allein deutsche Muslime geben“. Das könne nicht der Staat beantworten, sondern nur Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Schon die ersten Reaktionen einiger muslimischer Funktionäre wie Ali Kizilkaya und Bekir Altas von der IGMG zeigen, dass diese Frage sehr kontrovers diskutiert werden wird in der neu zusammengesetzten Islamkonferenz. Altas und Kizilkaya sprachen in ihren ersten Reaktionen auf Twitter von einem „bestellten Islam“, und stellten einen „deutschen Islam“ mit Schweinshaxe und Weizenbier in Zusammenhang. Die Aussagen von Staatssekretär Kerber bezeichneten beide als Anmaßung.
Zwei Mal Islam mit Salami und Vorderschinken ohne Knoblauch. Dazu noch zwei Weizen bitte! Innenministerium bestellt Islam nach Wunsch. Was für eine Anmaßung.https://t.co/uQxzkBE8wz via @faznet
— Ali Kızılkaya (@KizilkayaAli) 13. Juli 2018
Für mich bitte einmal knusprig gebratene Schweinshaxe; koscher reicht – muss nicht halal sein. 🤦🏻♂️#islambestellt @BMI_Bund https://t.co/T18GAri4lA
— Bekir Altaş (@BekirAltas) 13. Juli 2018
Eine Erklärung für diesen Reflex auf Verbandsseite liegt natürlich in der Tatsache, dass sie in der Einbeziehung unterschiedlicher Vertreter der muslimischen Zivilgesellschaft einen eigenen Machtverlust sehen. Sie wollen als Betreiber von Moscheegemeinden die alleinige Deutungshoheit darüber haben, wie der künftige Kurs der Muslime in Deutschland auszusehen hat. Das haben die Erfahrungen der letzten Jahre auch gezeigt. Genauso wie sie es nicht geschafft haben mit dem Koordinationsrat der Muslime wirklich ein Gremium zu schaffen, was einerseits die innermuslimische Debatte zu Grundsatzfragen der Muslime in Deutschland auf den Weg bringt, aber andererseits auch unterschiedliche Akteure der muslimischen Zivilgesellschaft in Deutschland in den Prozess mit einzubinden, wittern sie jetzt reflexhaft einen drohenden Machtverlust, wenn neue Akteure der muslimischen Zivilgesellschaft Raum in der Islamkonferenz bekommen könnten. Die Verbände haben systematisch in den Jahren zuvor eine innermuslimische Debatte über unsere Angelegenheiten hier in Deutschland verhindert, und beschweren sich jetzt darüber, dass diese Debatten woanders stattfinden sollen, wo sie nicht mehr vorschreiben können, was am Ende bitte schön rauszukommen hat?
Neben dem drohenden Verlust von Einfluss und der Deutungshoheit spielen aber auch tiefer liegende Gründe eine zentrale Rolle. Auch wenn manche muslimische Verbände unermüdlich betonen, dass sie eine deutsche Religionsgemeinschaft sind, und auch immer wieder die Forderung an die Politik stellen, als solche anerkannt zu werden, sind sie von ihrer inhaltlichen Ausrichtung und auch konkreten Haltung im gegenwärtigen Zustand alles andere als eine Religionsgemeinschaft, und eine deutsche schon gar nicht. Das zeigen die Funktionäre Bekir Altas und Ali Kizilkaya in ihrer ersten Reaktion, in dem sie unter der Bezeichnung „deutscher Islam“ einen staatlich bestellten Islam mit Schweinshaxe und Weizenbier verstehen. Diese Assoziation hat erstaunliche Parallelen zur Wunschvorstellung manch eines AfD-Politikers.
Wenn es um die Anerkennung als Religionsgemeinschaft geht, ist man in der Lage sich als deutsche Religionsgemeinschaft zu bezeichnen. Wenn es wie jüngst darum geht, sich über Medienberichte im Kontext von Anschlägen auf Moschee zu empören, weil einige Medien diese Moschee als „türkische Einrichtungen“ bezeichnet haben, dann ist man sensibel, und spricht von deutschen Moscheen. Aber warum – so meine Erfahrung in den letzten Jahren – fühlen sich manche muslimischen Vertreter und Organisationen pikiert, wenn ich und viele andere junge Muslime, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, und Deutschland als ihre Heimat sehen, sich als deutsche Muslime bezeichnen? Ist es nicht eine vollkommen natürliche Entwicklung, dass man sich dem Land, in dem man sich mit all seinen Problemen wohl fühlt, verbunden fühlt? Oder sieht man im Islam etwa auch ein kulturelles Bekenntnis? Der Islam, den ich von meinen Eltern gelernt habe, ist ein Islam, der kein kulturelle Bekenntnis vorschreibt, sondern ein Islam, der schon immer offen war für Einflüsse von außen, und somit auch kompatibel ist mit jeder Kultur. Islam ist keine Kultur, sondern ein Filter für Kulturen. So wurde der Islam in Nordafrika, Asien, auf dem Balkan und in Andalusien mit seiner Hochkultur gelebt.
So sensibel manche auf den Begriff deutscher Islam reagieren, so locker sind sie, wenn es um einen seit Jahrzehnten durch die türkische Staatsdoktrin und seiner Religionsbehörde Diyanet gepredigten „türkischen Islam“ geht. Altas und Kizilkaya als Vertreter der IGMG sind da ganz kooperativ, wenn es darum geht Imame mit diesem Verständnis eines „türkischen Islam“ von der Diyanet zu beziehen, aber gehen sofort auf die Barrikaden, wenn unter Muslimen in Deutschland auch nur darüber diskutiert werden soll, wie wir uns hier als deutsche Muslime definieren und uns mit Grundsatzfragen beschäftigen.
Genau jetzt ist die Zeit gekommen, all diese Fragen, die man als muslimische Community in Deutschland jahrelang aufgeschoben hat, anzugehen. Die Deutsche Islam Konferenz ist nur ein Forum von vielen, wo dies diskutiert werden muss. Auch in der muslimischen Community selber muss viel mehr über Grundsatzfragen diskutiert werden, auch wenn die bloße Debatte manche Akteure beunruhigt, und von diesen als Provokation wahrgenommen wird. Nur durch eine ehrliche Debatte kann man den Identitären auf beiden Seiten etwas entgegensetzen. Denn nicht nur deutsche Identitäre sehen in deutsch und muslimisch einen Widerspruch, sondern auch bei Türkeistämmigen grassiert ein ähnliches identitäres Gedankengut. Die selbstbewusste eigene Verortung als deutscher Muslim wird als Anbiederung an Politik und Gesellschaft eingeordnet. Für manche Islamfunktionäre scheint es denkunmöglich zu sein, dass ein Muslim ganz natürlich in der Lage ist, sich klar hier zu verorten und ein positives Selbstverständnis zu formulieren. In diesem Denken kann dies nur auf „Bestellung“ durch die Politik passieren. Aber genau in diesen turbulenten Zeiten, in denen von AfD und Konsorten immer mehr Ressentiments gegen Muslime geschürt werden, sollten wir als Muslime den jungen Menschen in unserer Community ein positives Selbstverständnis vermitteln, und eben keins, was eine Kopie des identitären Gedankenguts aus der rechten Ecke darstellt, nur mit einem vermeintlich islamischem Label.
Pingback: Uni Osnabrück: Weiterbildung für Imame am IIT vorm Aus