Denunziation

Redet nicht mit dem!

Nie war es leichter, Menschen öffentlich anzuschwärzen, um sie zum Schweigen zu bringen. Unser Autor hat das am eigenen Leib erfahren.

DIE ZEIT Nr. 31/2018

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Im vergangenen Jahr bekam ich eine Einladung zu einer Veranstaltung in einem renommierten Theater. Ich sollte dort mit einer Expertin für Islamische Religionspädagogik über Muslime in Europa diskutieren. Plakate und Flyer waren fertig, die Einladungen verschickt, auch auf Twitter und Facebook wurde die Veranstaltung beworben. Als der Termin näher rückte, ohne dass die Anreisedetails geklärt worden wären, schrieb ich eine E-Mail und schaute bei der Gelegenheit noch einmal auf die Internetseite des Theaters. Mit Verwunderung stellte ich fest, dass mein Name verschwunden war. Zunächst vermutete ich, es sei etwas durcheinandergeraten. Dann bekam ich eine E-Mail mit der Bitte um eine Telefonkonferenz.

Der Veranstalter klang unsicher und nervös. Offenbar wusste er nicht, wie er das Thema ansprechen sollte. Man habe vor, mich für einen anderen Termin im kommenden Jahr einzuladen, sagte er. Aber ich hörte heraus, dass es eigentlich um etwas anderes ging. Ich blieb hartnäckig: Warum wollte man mich nun doch nicht auf dem Podium haben? Nach und nach rückte er mit der Sprache heraus.

Jemand hatte ihn kontaktiert und vor mir gewarnt. Ich sei ein Islamist, der die Mainstream-Medien unterwandere, ein türkischer Nationalist, der eine versteckte Agenda verfolge. Der konkrete Vorwurf lautete, ich würde den „Osmanen Germania“ nahestehen. Diese rockerähnliche Gruppierung ist im vergangenen Jahr durch ihre ultranationalistische, gewaltverherrlichende Rhetorik aufgefallen. Gegen die inhaftierte Führung laufen mehrere Verfahren, unter anderem wegen Waffenhandels. Mittlerweile hat der Innenminister die Gruppe verboten.

Eren Güvercin – ein Journalist, der mit einer Hells-Angels-artigen Organisation verbandelt ist? Da wundert es nicht, dass ein Veranstalter erst mal schockiert ist.

Der „Beweis“ allerdings stammte aus dem Blog einer Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich präsente Muslime zu „enttarnen“. Es handelte sich um ein Foto aus dem Jahr 2016, auf dem ich mit Freunden in einer Fußballhalle zu sehen bin. Während die anderen Trikots verschiedener Vereine tragen, habe ich ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Osmanen Support“ an, das mir ein Bekannter geschenkt hatte. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich weder die Gruppe „Osmanen Germania“, noch war mir bewusst, dass es sich bei meinem T-Shirt um eines ihrer Merchandising-Produkte handelte. Ich fand nur den Kontrast zwischen dem brachialen Stil des Shirts und meiner schmalen Statur witzig.

Der Bloggerin reichte das Bild als Indiz für meine „wahre Gesinnung“. In ihrem Blog warf sie mir vor, mich mit gewaltbereiten nationalistischen Organisationen zu solidarisieren. Auf die Idee, mich zu kontaktieren und mit dem Foto zu konfrontieren, kam die vermeintliche Expertin nicht.

Dabei habe ich mich in zahlreichen Vorträgen und Artikeln intensiv mit dem türkischen Nationalismus auseinandergesetzt. Mehr noch: Gerade wegen meiner Kritik an der Hetze türkischer Nationalisten werde ich in diesen Kreisen als Vaterlandsverräter gebrandmarkt. In Ankara hat mich der Vertreter einer türkischen Organisation aus Deutschland sogar schon als „Agent des deutschen Staates“ angeschwärzt. Ein Abgeordneter der AKP versuchte daraufhin, mich am Telefon einzuschüchtern. Meine nächste Einreise in die Türkei werde ich sehr gut überdenken müssen.

Bevor der Veranstalter mir, dem Referenten, Gelegenheit gab, zu den Gerüchten Stellung zu nehmen, hatte er mich ausgeladen. Mein Angebot, mich zusammen mit der Person, die mich angeschwärzt hatte, auf das Podium zu setzen, um öffentlich über die erhobenen Vorwürfe zu sprechen, wurde abgelehnt. Man müsse den Fall noch einmal intern beraten, hieß es. Wenig später kam die Entschuldigung: Die Veranstaltung könne wie geplant stattfinden.

Als Journalist kann man es nie allen recht machen. Man sollte das auch gar nicht wollen. Aber gerade als muslimischer Journalist, der nicht nur in öffentlichen Debatten mitmischt, sondern auch zwischen Muslimen bitter nötige Auseinandersetzungen in Gang bringen will, werde ich zunehmend mit einer debattenfeindlichen Assoziationslogik konfrontiert, die jede Diskussion im Keim erstickt.

Selbstzensur, um Konfrontationen zu vermeiden?

Die Instant-Verleumdung folgt einem einfachen Prinzip: X hat irgendwie mit Y zu tun, Y ist böse, also muss auch X ein schlechter Mensch sein. Der Reflex funktioniert nicht nur im AfD-Milieu. Es gibt ihn überall, auch unter Muslimen in Deutschland.

Von Akteuren innerhalb der muslimischen Community wird man „exkommuniziert“ und als „pro-zionistisch“ beschimpft, wenn man sich mit ihren Kritikern austauscht und antisemitische Vorurteile, die unter Muslimen kursieren, offen anspricht. Das führt irgendwann dazu, dass Organisationen, bei denen man noch vor einiger Zeit regelmäßig Vorträge gehalten hat, ein Auftrittsverbot verhängen.

Viele Nichtmuslime halten es unterdessen schon für äußerst verdächtig, wenn man sich wie ich an kontroversen Diskussionen mit muslimischen Organisationen beteiligt und dabei auch mit Menschen spricht, deren Islam-Verständnis fragwürdig sein mag. Ich finde das sehr wichtig. Um Jugendliche von nationalistischen Irrwegen abzubringen, bin ich sogar mit einer türkischen Jugendorganisation, die dem ultranationalistischen Spektrum zugeordnet wird, auf Bildungsreise gefahren. Solche Gespräche bringen uns voran, weil sie einen selbstkritischen Diskurs unter Muslimen fördern. Man muss dann allerdings damit leben, dass danach Bilder in Umlauf gebracht werden, auf denen man mit Vertretern ebenjener muslimischen Organisationen zu sehen ist. Als Beweis, dass man mit ihnen ideologisch auf einer Linie liege.

Erst kürzlich hatte etwa die Autorin und Frauenrechtlerin Kübra Gümüsay mit dieser Form der Assoziationslogik zu kämpfen, als die Zeitschrift Emma versuchte, ihr eine zweifelhafte Gesinnung anzudichten, nachdem sie bei Veranstaltungen aufgetreten war, die den Redakteurinnen verdächtig vorkamen. Welche Position sie dabei vertreten hatte, schien zweitrangig.

Besonders gut funktioniert die Assoziationslogik in sozialen Netzwerken, weil sie ohne viele Worte auskommt. Es reicht ein Bild, ein Post, ein falsches Like – und der Verdacht bleibt haften. Im vergangenen Herbst stand FDP-Chef Christian Lindner in der Kritik, nachdem er dem Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der der neuen Rechten nahesteht, ein Interview gegeben hatte. Aufregung verursachte vor allem ein Selfie mit Steinhöfel, das er auf Facebook veröffentlichte (und später löschte). Anfang des Jahres wurde Simon Strauß, ein junger Redakteur der FAZ, von einigen Kollegen zu einem „Vordenker der neuen Rechten“ erklärt. Als wesentlicher Teil der Beweisführung wurde die Einladung des rechten Publizisten Götz Kubitschek zu einer Diskussionsrunde präsentiert, die Strauß 2015 organisiert hatte. Dass er sich bei dieser Veranstaltung kritisch mit Kubitschek und dessen Denken auseinandergesetzt hatte, war kaum von Interesse. Man mag Simon Strauß ja als Konservativen betrachten. Man mag auch einige seiner Publikationen kritisieren. Aber der Vorwurf, ein Vordenker der Neuen Rechten zu sein, ist gewaltig. Er ist bestens geeignet, den weiteren Werdegang eines jungen Menschen erheblich zu beeinträchtigen.

In Zeiten der „großen Gereiztheit“, wie sie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen konstatiert, führt ein dürftig belegter Verdacht schnell zu einer kollektiven Erregung. Pörksen sieht ein „begrenztes Repertoire der Feindbilder“, bestimmter Gruppen also, die in maßloser Weise angegriffen würden, Flüchtlinge etwa, ausländisch aussehende Menschen oder Angehörige von Minderheiten.

Auf Facebook hat man manchmal das Gefühl, dass eigentlich jeder irgendwie öffentlich präsente Muslim Teil einer islamistischen Verschwörung sein muss. Den Anschwärzern scheint es dabei nicht um einen ehrlichen, kritischen und, ja: schonungslosen Diskurs über Grundfragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu gehen, sondern um ihre eigene ideologische Haltung. Nur wer so denkt wie ich, ist unverdächtig, lautet ihr Credo. Andere Meinungen würden sie am liebsten vollständig verdrängen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich ist es die Aufgabe, gerade von Journalisten, kritischen Hinweisen nachzugehen, und natürlich kann eine solche Prüfung einen Verdacht auch erhärten. Aber die Zeit für die Prüfung sollten wir uns schon nehmen. Andernfalls wird es bald nicht mehr möglich sein, kontroverse Debatten überhaupt zu führen.

Denn wer es sich einfach machen will, verzichtet künftig vielleicht lieber auf die eine oder andere kritische Spitze. Ich kenne Menschen, die in muslimischen Vereinen aktiv sind und längst in die Selbstzensur geflüchtet sind, um Konfrontationen zu vermeiden. Schließlich hat jede öffentliche Person – bewusst oder unbewusst – Angst, angefeindet zu werden, weil Verleumdungen auf fruchtbaren Boden fallen. Selbst die abenteuerlichste Verbindung reicht manchmal aus, um einen Verdacht zu schaffen. Und das Reservoir an Bildern, die vermeintlich oder tatsächlich belastende Details ans Licht bringen können, ist auf Facebook oder Instagram unerschöpflich.

Für mich ist Rückzug keine Option. Gerade den Verleumdern muss man zeigen, dass man sich von ihnen nicht einschüchtern lässt. Erst wenn man ihnen offen entgegentritt, wird manchmal klar, wie sehr sie Angst davor haben, über Inhalte zu diskutieren, zu streiten, die Argumente für sich sprechen zu lassen.

Wenn uns etwas an unserer liberalen und demokratischen Gesellschaft liegt, müssen wir diesen Leuten ihre Grenzen aufzeigen: indem wir zu offensichtlichen Verleumdungen nicht schweigen – auch wenn wir die Meinung der Betroffenen vielleicht nicht teilen. Nur wer platt getretene Diskurspfade verlässt, stößt auf neue Erkenntnisse und frische Gedanken, die einen herausfordern. Und das kann uns allen nur guttun.

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