Auf der Suche nach einem deutschen Islam

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Der Kölner Publizist Eren Güvercin ist Gründer der Alhambra-Gesellschaft. Sie wirbt für einen hier beheimateten Islam und dessen Liaison mit der europäischen Kultur. Für türkische Nationalisten ist Güvercin seitdem nur noch ein Volksverräter. Von Till-Reimer Stoldt.

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Rotes Tuch für türkische und deutsche Nationalisten: Eren Güvercin, Deutscher, Muslim, Türkeistämmiger.

Wilde Träume hat Eren Güvercin. In einem von ihnen sagt er: „Ich bin deutscher Muslim“ – und niemand regt sich darüber auf. Nicht die türkischen Nationalisten, für die ein türkeistämmiger Muslim doch auf ewig Türke bleibt, es sei denn, er begeht Volksverrat. Und ebenso wenig die deutschen Nationalisten, für die ein Türkeistämmiger doch ebenfalls ein Türke bleibt – der das deutsche Volk unterwandert. Natürlich weiß der 38-Jährige, dass es ein weiter Weg ist bis zu diesem erträumten Moment, da ein deutsch-muslimisches Bekenntnis niemanden mehr empört. Derzeit beobachtet er sogar die entgegengesetzte Tendenz: Die Zahl der Nationalisten, für die man nur deutsch oder muslimisch, nur deutsch oder türkisch sein kann, nimmt auf beiden Seiten zu. Im Umfeld der AfD. Und in dem der türkischen Regierung, ihrer Medien und Moscheen.

Aber es gibt ja auch noch Leute wie ihn: den Kölner Publizisten und Journalisten mit dem urtürkischen Namen Eren Güvercin. Er lehnt es ab, sich als Migrant zu bezeichnen, und bevorzugt stattdessen die Bezeichnung muslimischer Deutscher oder deutscher Muslim türkischer Abstammung. Und: Es gibt kleine feine Intellektuellen-Klubs wie die Alhambra-Gesellschaft, die Güvercin vor exakt einem Jahr in Köln gründete. Dort haben sich gut ein Dutzend muslimische Akademiker organisiert, um genau diese Debatte in Gang zu bringen: was ist deutscher, europäisch verwurzelter Islam? Welche Konturen kann und soll er haben? Als Symbol dieser Verwurzelung haben die Gründungsmitglieder die Alhambra gewählt – das wohl berühmteste muslimische Kunst- und Bauwerk Europas. Dabei hüten sich Güvercin und Co., fertige Definitionen eines deutschen Islam zu präsentieren. Sie wollen nur zu eigenen Antworten anregen – durch Diskussionsveranstaltungen (etwa mit dem türkeistämmigen Autor Feridun Zaimoglu) oder auch mit ihren Freitagsworten (dem muslimischen Pendant zum christlichen „Wort zum Sonntag“), das sie wöchentlich auf ihre Website stellen.

Damit wirkt die Alhambra-Gesellschaft wie eine Blaupause für die Deutsche Islamkonferenz (DIK), die Bundesinnenminister Horst Seehofer noch 2018 ausrichten will. Deren Ziel gab Seehofers Staatssekretär jüngst bekannt: Sie solle debattieren, ob es einen deutschen Islam geben und wie er inhaltlich gefüllt werden könne. Diese Aufgabe müssten die Muslime aber allein übernehmen. Der neutrale Staat könne ihnen mit der DIK nur ein Forum dafür bieten. Wohl nicht ganz zufällig waren gleich drei Köpfe der Alhambra-Gesellschaft jüngst bei den Werkstattgesprächen des Innenministeriums in Berlin, in denen die DIK vorbereitet wird.

So sehr Güvercin vermeidet, anderen Muslimen ihren deutschen Islam zu definieren, so klar ist sein eigenes Verständnis davon. Es lässt sich vielleicht auf folgenden Nenner bringen: Als praktizierender Muslim und Liebhaber der türkischen Kultur fühlt er sich gleichwohl durch und durch beheimatet in Deutschland. „In der schönen deutschen Sprache“, wie er sagt, in der Literatur von Goethe bis Rilke, aber auch in der bundesrepublikanischen Verfassung, auf die der studierte Jurist gerne ein Hohelied anstimmt. Diese Beheimatung wird auch erkennbar, wenn es politisch hart auf hart kommt. Als der türkische Präsident Erdogan Deutschland mehrfach als Naziland beschimpfte, hielt Güvercin sich nicht mehr vorsichtig zurück, sondern verwarf diese unsäglichen Wutausbrüche öffentlich.

Vor allem aber wirbt er wie die anderen Alhambristen dafür, in Deutschland Verantwortung für die Mitmenschen zu übernehmen. So sollten hiesige Muslime die Zakat, also die religiöse Spendenabgabe, nicht nur in die Türkei überweisen, sondern auch hier, vor der eigenen Haustür, damit Not lindern. Sie sollten sich dazugehörig fühlen.

Gelegentlich spitzt Güvercin diesen Appell zu. Dann betont er, Assimilation sei für Muslime in ihrer langen Geschichte ein ganz gewöhnlicher Vorgang gewesen. Islam sei „keine Kultur, sondern ein Glaube, der sich an viele Kulturen anpassen“ könne. Diese These dürften Türkeistämmige als Breitseite gegen Erdogan verstehen, hat der türkische Präsident doch immer wieder beschworen, die Assimilation von Türkeistämmigen an eine andere Kultur sei „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Aber auch gegen die von der türkischen Regierung beeinflussten Muslimverbände stichelt Güvercin. Vor allem eines hält er ihnen vor: „Ihre Tendenz, Türkeistämmige zu geistigen Exilanten und permanenten Fremden zu machen, indem sie ihre Aufmerksamkeit von Deutschland weg- und auf die Türkei hinlenken.“ Das beginnt mit dem ungebrochenen Import türkischer Imame in deutsche Moscheen von Ditib, Milli Görüs und Atib. Diese Imame bleiben nur wenige Jahre und lernen weder Lebenswelt noch Sprache hiesiger Muslime wirklich verstehen. Das setzt sich fort mit Predigten, die stark an der Türkei orientiert sind und die Probleme hiesiger Muslime verfehlen. Und das gipfele „in der verbreiteten Neigung, den islamischen Glauben mit der türkischen Kultur und sogar mit den Positionen der türkischen Regierung gleichzusetzen“.

Angefeindet aus Ankara

Davon abgesehen, ist es für einen Sprachästheten wie Güvercin oft schwer erträglich, wenn auf die türkisch gehaltene Freitagspredigt eine kurze deutsche Zusammenfassung folgt, die meist hölzern, manchmal aber auch geradezu kümmerlich klingt. In ihren eigenen Freitagsworten präsentiert die Alhambra-Gesellschaft einen Gegenentwurf – und zwar in gestochenem Deutsch und angereichert durch Beispiele und Beobachtungen, die aus der deutschen Lebenswelt, also dem Alltag hiesiger Muslime stammen.

Da verwundert es kaum, dass Güvercin und die anderen Alhambristen angefeindet werden. Mal schimpft ein Ditib-Vorstand, die Alhambra-Gesellschaft sei nur ein Werkzeug des deutschen Staates, um Muslime vom wahren Islam zu entfernen. Mal wird Güvercin als Verräter und Hausmuslim der Deutschen beschimpft. Und als er eine tiefere Auseinandersetzung mit Ursachen des Antisemitismus bei manchen Muslimen forderte, pappte ihm ein Verbandsfunktionär gar das aus seiner Sicht wohl vernichtende Etikett des „Zionisten“ auf. In der Führungsetage von Ditib und Milli Görüs (nicht aber in deren Jugendgruppen) ist Güvercin jedenfalls zur Persona non grata geworden.

Ihn als radikalliberalen Knecht der Deutschen abzutun, gelingt den türkischen Nationalisten dennoch nicht. Erstens ist Güvercin mit dem von Ditib und Milli Görüs geprägten Milieu vertraut und hat dort auch Freunde. Zweitens hat er sich – bei aller Sympathie – auch mit liberalen Reformmuslimen schon oft gezofft, wenn er den Eindruck gewann, sie verscherbelten islamische Glaubenssubstanz. Und drittens warnt er vor jeder Form von Staatsislam – vor türkischem wie vor deutschem.

Gleichwohl fragt sich, ob sein Werben für eine deutsch-muslimische Sowohl-als-auch-Identität mehrheitsfähig ist. Wird ein derart komplexes Identitätsangebot nicht zerquetscht – zwischen der nationalistischen Propaganda des türkischen Staates mit seinen Medien und Moscheen einerseits und einer islamskeptischen Mehrheitsgesellschaft andererseits, in deren Namen Horst Seehofer sagte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland? Nein, antwortet Güvercin, während er in seinem Lieblingscafé am Kölner Dom sitzt: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Identitären beider Seiten nicht siegen werden.“ Historisch besehen, lebe ja erst seit sehr kurzer Zeit, seit gerade 60 Jahren eine große Zahl von Muslimen in Deutschland. Beheimatung brauche eben Zeit. Irgendwann werde es „niemanden mehr aufschrecken, wenn ein Türkeistämmiger sagt, er sei deutscher Muslim“. Während er das ziemlich laut ausspricht, dreht ein Pärchen am Nebentisch ruckartig die Köpfe zu ihm – aber nicht empört, sondern lächelnd.

Erschienen in der Welt am Sonntag, 9. September 2018:

https://www.welt.de/regionales/nrw/article181460194/Auf-der-Suche-nach-einem-deutschen-Islam.html

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