„Der Machtwahn hat Spuren bei Erdogan hinterlassen“

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Mit seiner Wutrede gegen Macron hat der türkische Präsident Erdogan auch Deutschland den Kampf angesagt. Mit dieser Rhetorik will er sein gespaltenes Land einen und von der Wirtschaftskrise ablenken. Doch warum stößt er auch bei türkischstämmigen Deutschen auf offene Ohren?

Eren Güvercin ist Gründungsmitglied der Alhambra-Gesellschaft und Mitglied der 4. Deutschen Islamkonferenz. 2012 erschien von ihm das Buch „Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation“ bei Herder

Herr Güvercin, die Enthauptung eines französischen Lehrers durch einen Islamisten zieht immer größere Kreise. In einer viel zitierten Rede bei einem Parteitag seiner Regierungspartei AKP hat der türkische Präsident Erdogan Macron als geisteskrank bezeichnet und zum Boykott französischer Produkte aufgerufen. Überrascht Sie diese heftige Reaktion?

Nein, ganz und gar nicht. Wenn man Erdogan schon etwas länger beobachtet, dann ist diese Rhetorik gegenüber politischen Gegnern gar nicht neu. Mit derselben Rhetorik agiert er im Umgang mit oppositionellen Politikern im eigenen Land.

Aber es ist doch ein Unterschied, ob er irgendeinen Oppositionellen attackiert oder den französischen Präsidenten.

Aber auch das ist nicht wirklich etwas Neues. In Deutschland können wir uns noch gut an die heftigen Diskussionen erinnern, als es um das Verfassungsreferendum in der Türkei oder um Wahlkampfauftritte von AKP-Politikern bei uns ging. Auch damals hat Erdogan Deutschland schon als „Nazi-Deutschland“ bezeichnet. Auch die türkische Presse war nicht zimperlich. Auf Titelseiten hat sie Angela Merkel in einer SS-Uniform und mit Hitlerbärtchen abgebildet. Diese beleidigende Rhetorik gehört zu einem Autokraten wie Erdogan.

Seine Rede ist auch eine Kampfansage an deutsche Politiker. Erdogan bezeichnet sie als „Kettenglieder der Nazis“. Er spricht von einer Lynchkampagne gegen den Islam und vergleicht sie mit der Judenverfolgung im Dritten Reich. Warum fährt er so schweres Geschütz auf?

Seit Anfang des Jahres hat die türkische Lira gegenüber dem Dollar und dem Euro rapide an Wert verloren. Erst gestern hatten wir wieder ein Rekordtief. Wenn im eigenen Land die Wirtschaft den Bach herunter geht, dann müssen neue Feindbilder her oder alte Feindbilder wieder aufgewärmt werden. Das ist ein typisches Muster in Diktaturen. Erdogan versucht, die Reihen im eigenen Land geschlossen zu halten, um umso heftiger nach außen zu prügeln.

Und wie sieht es mit den türkisch-stämmigen Menschen in Deutschland aus?

Auch bei denen stößt das schon auf fruchtbaren Boden, weil so ein Gefühl entsteht: Endlich mal jemand, der Tacheles redet. Der sich nicht duckt, sondern eine nationalistische Haltung zeigt, wie man das hierzulande aus dem Milieu der AfD und Reichsbürger kennt. Die Community geilt sich daran regelrecht auf.

Aber wie kann man einem Diktator auf den Leim gehen, wenn man in einer der stabilsten Demokratien der Welt lebt?

Das frage ich mich auch. Diese Leute sind oft gut ausgebildet, sie sind hier in einer freiheitlichen Demokratie geboren und aufgewachsen, aber sie reden Deutschland ständig schlecht, weil sie von der medialen Maschinerie der AKP überwältigt werden. Sie schwärmen von der Türkei, gleichen das aber nicht mit der Realität ab. Für Ihr Selbstwertgefühl ist es anscheinend sehr wichtig, sich einzureden: Wenn ich ein Türke bin, bin ich halt etwas Besonderes.

Frankreichs Präsident Macron hatte nicht dem Islam den Kampf angesagt, sondern dem Islamismus. Er hatte härtere Strafen und Abschiebungen von Islamisten und Kontrollen von extremistischen Moscheen angekündigt. Vertauscht Erdogan Islam mit Islamismus, um seine Landsleute gegen Europa aufzuhetzen?

Ja, einerseits ist es ein politisches Instrument für ihn, um seinen eigenen Leuten und den Türkeistämmigen in Deutschland eine Wagenburg-Mentalität einzuimpfen. Andererseits müssen wir auch beachten, aus was für einer Bewegung Erdogan selber kommt. Er ist ein Produkt der Mili Görus-Bewegung. Sein Ziehvater war Necmettin Erbakan, die schillernde Figur des politischen Islam in der Türkei, die starke Bindungen an die Muslimbruderschaft hat. Dass er jede kritische Haltung als Angriff auf die Muslime sieht, ist naheliegend. Für ihn gibt es keine Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus.

Weil er sich als Führer der islamischen Welt sieht und solche Angriffe persönlich nimmt?

Genau. Dabei sieht die Realität ganz anders aus. Erdogan ist in der islamischen Welt mehr und mehr isoliert. Und je weiter es mit der Wirtschaft bergab geht, umso härter wird seine Rhetorik und desto mehr ist er darauf angewiesen, externe Konflikte künstlich zu schüren.

Erdogans Rede läuft im türkischen Fernsehen rauf und runter. Wie muss man sich die vorstellen – als Wutrede?

Ich habe mich am Anfang über diese Rede amüsiert, weil Erdogan so berechenbar ist. Man hätte die Wortwahl schon erahnen können. Er war mal ein sehr begnadeter Rhetoriker, aber man sieht, dass er in den vergangenen Jahren massiv abgebaut hat, sowohl körperlich als auch geistig. Er versucht immer noch, den starken Mann zu spielen. Aber er ist dazu nicht mehr so in der Lage. Man sieht, dass der Machtwahn Spuren hinterlassen hat.

Was meinen Sie mit „Machtwahn“?

Er ist völlig abgekapselt von der Realität in der Türkei. Nach dem gescheiterten Putsch haben sich alte Weggefährten von der AKP gelöst. Nach diesen Erfahrungen hat er eine Art Verfolgungswahn entwickelt. Auf kritische Fragen und kritische Hinweise reagiert er allergisch. Er wittert überall Verrat. Er hört nur noch auf eine Handvoll von Beratern, die er um sich herum hat. Dabei war er mal sehr volksnah.

Die Bundesregierung hat die diffamierenden Äußerungen über Macron als „inakzeptabel“ verurteilt. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei und der größte Investor in der Türkei. Reicht so eine verbale Protestnote aus?

In der Stellungnahme hat die Bundesregierung gesagt, dass sie „an der Seite von Frankreich steht.“ Dieser Satz sagt viel aus. An der Seite zu stehen, ist etwas sehr Passives. Wir haben schon längst den Punkt verpasst, dass man nicht nur Floskeln von sich gibt, sondern auch handelt. Wenn die Türkei über Jahre hinweg mit dieser Rhetorik gegen Deutschland oder Frankreich agitiert und über ihre Diaspora-Politik einwirkt, reicht es nicht mehr zu reden.

Was erwarten Sie von der deutschen Politik?

Die einzige Sprache, die Erdogan versteht, sind ökonomische Konsequenzen. Europa ist für ihn ein wichtiger Wirtschaftsraum. Auf der anderen Seite muss die Politik aber auch realisieren, dass hier sehr viele türkischstämmige Menschen leben. Die muss man auch als Bürger dieses Landes ansehen und mit der türkischen Diaspora-Politik nicht allein lassen. Wenn diese von der Türkei gesteuerten Moscheen das einzige sind, was diese Menschen haben, muss man sich nicht wundern, dass sie dieses Angebot auch wahrnehmen. Man muss diese Menschen auch emotional erreichen.

Wie soll das gehen?

Zum Beispiel, indem der Bundespräsident an Ramadan eine Botschaft an sie schickt und sie auch als muslimische Staatsbürger anspricht. Für uns sind das nur Kleinigkeiten. Aber das hat einen gewissen Effekt. Man muss sie als gleichberechtigte Bürger behandeln.

Aber warum müssen religiöse Unterschiede dann noch eine Rolle spielen?

Weil es ein Teil ihrer Identität ist. Dass auch mal anzusprechen, finde ich normal. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir das Muslemsein per se als etwas Problematisches wahrnehmen. Das ist doch Wasser auf den Mühlen von Erdogan. Dann kommt er wieder mit seinen Islamophobie-Vorwürfen, die er bei jedem Anlass aus dem Ärmel schüttelt.

Ein EU-Beitritt der Türkei steht schon länger auf der Kippe. Nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudner hat die Bundesregierung einen Kurswechsel in der Türkeipolitik eingeleitet. Ist das Thema mit der Rede von Macron endgültig vom Tisch?

Gefühlt ist der EU-Beitritt schon seit einigen Jahren vom Tisch. Hin- und wieder kocht das mal hoch …

… weil die EU Erdogan bei der Unterbringung von Flüchtlingen braucht ….

… aber durch die Entwicklung in den vergangenen Jahren in der Türkei ist das in weite Ferne gerückt. Da muss man eine klare Linie ziehen.

Türkischstämmige Deutsche, die jetzt einen „Appell der 101 Weisen“ an die Opposition in der Türkei geschrieben haben, gehen noch einen Schritt weiter. Sie fordern, dass die Türkei aus dem Europarat ausgeschlossen wird. Ist das klug, mit so einem offenen Brief auch noch Öl ins Feuer zu kippen?

Da bin ich skeptisch. Einerseits finde ich diesen Schritt konsequent. Andererseits muss man sich fragen, ob man die Opposition in der Türkei damit in eine noch schwierigere Lage bringt. Ob man Erdogan mit solchen Appellen noch einen Gefallen tut und ihm Munition für den Wahlkampf liefert.

Aber die nächsten Wahlen finden doch erst 2023 statt.

Aber Beobachter gehen davon aus, dass es in Anbetracht der kriselnden Wirtschaft und der vielen außenpolitischen Konflikte vorgezogene Neuwahlen gibt.

In Deutschland leben drei Millionen Türken. Viele von ihnen werden durch die unter staatlicher Kontrolle stehenden Ditib-Moscheen von Erdogan kontrolliert. Macht sich seine Politik der Islamisierung auch hierzulande bemerkbar?

Der Islam ist nur die Verpackung. Ich finde, dass der Nationalismus viel dominanter ist. Wenn man Erdogans Politik in Deutschland als türkischstämmiger Journalist in Frage stellt, muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, dass man Nestbeschmutzer oder Handlanger der Armenier oder Juden sei. Man wird bei türkischen Behörden denunziert.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass so ein Attentat wie die Enthauptung eines Lehrers auch bei uns passiert?

Schwere Frage. Aber Erdogans aggressive Freund-Feind-Rhetorik kann natürlich bei bestimmten Menschen dazu führen, dass sie sich ermutigt fühlen, zur Tat zu schreiten. Diese Gefahr kann man aber nie ausschließen. Das ist bei der AfD genauso.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.

https://www.cicero.de/aussenpolitik/erdogan-akp-islamismus-kampfansage-wahlkampf-deutschland-muslime-makron

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