„Mir geht die Opferrhetorik gehörig auf die Nerven“

comments 2
Uncategorized

In seinem neuen Buch erzählt der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani auf sehr persönliche Weise von seinem Leben als Kind iranischer Eltern in Deutschland und berichtet von seinen Erfahrungen als Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz. Dabei erweist er sich einmal mehr als genauer Beobachter, scharfer Analytiker und mitreißender Erzähler. Navid Kermanis Buch überzeugt durch die leisen Töne, denn unsere Identität als Deutsche, Europäer, Muslime oder Christen ist vielfältiger und ambivalenter, als uns oft eingeredet wird. Eren Güvercin sprach mit ihm über sein neues Buch und die Debatte um die Muslime in Deutschland.

„Mir geht die Opferrhetorik gehörig auf die Nerven“

Der Islamwissenschaftler Navid Kermani

Der Islamwissenschaftler Navid Kermani erweist sich einmal mehr als genauer Beobachter, scharfer Analytiker und mitreißender Erzähler

Wenn es um das Thema Deutschland und seine Muslime geht, ist immer die Rede vom ‚Kampf der Kulturen’. Ilija Trojanow und Ranjit Hoskote haben in ihrem Buch „Kampfabsage“ eine Art Gegenschrift zu dieser These verfasst. Existiert Ihrer Ansicht nach ein ‚Kampf der Kulturen’, oder sollte man eher von Konflikten innerhalb der Kulturen sprechen?

Kermani: Ich glaube, die Rede vom ‚Kampf der Kulturen’ ist genauso problematisch wie die Rede vom ‚Dialog der Kulturen’, weil in beiden Fällen setzt man feste Subjekte voraus, als seien die relativ homogen. Und das gilt für den ‚Dialog der Kulturen’ genauso. Wenn man dann die Realität sieht, werden solche Begriffe oder solche Vorstellungen sehr schnell zu Karikaturen, weil die Realität viel widersprüchlicher und ambivalenter ist. Zu wem gehöre ich? Gehöre ich zum Westen? Ich denke schon. Zugleich gehöre ich auch irgendwie zum Islam, weil ich muslimische Eltern habe und auch mich dieser Kultur zugehörig fühle. Das gleiche gilt für die orientalischen Christen, die einen prägenden Teil dieser Kultur ausmachen. Man könnte jetzt unzählige Beispiele aufzählen. Und gerade die letzten politischen Krisen haben ja gezeigt, wie unterschiedlich der Westen selbst ist. Nehmen sie den Irakkrieg, da gab es nicht den Westen, es gab unterschiedliche Westen. Das Problem allerdings ist, dass diese Begriffe sich in den Köpfen festsetzen, dass Politiker, Terroristen, Intellektuelle agieren, als gäbe es den Islam, als gäbe es den Westen. Sie werden zu Agenten dieser Subjekte, und dann handeln sie auch im Namen des Westens oder des Islams. Am 11. September 2001 wurde gewiss im Namen des Islams der Westen attackiert, nicht eine spezifische politische Gruppe hat eine andere spezifische politische Gruppe attackiert. Es waren hier Kulturen, die dort vorgaben gegeneinander zu kämpfen. Dann muss man diese Begriffe auch ernst nehmen.

 

Oft wird beklagt, dass sich die Muslime in Deutschland zuwenig in die Gesellschaft einbringen. Es ist immer die Rede von Parallelgesellschaften. Ist der Islam nicht integrierbar? Was sind die Gründe für diese Abschottung?

Kermani: Ich kann mit pauschalen Urteilen nicht viel anfangen. Ich glaube, ich kenne genug Muslime, die sind integriert, und genug Deutsche, die halte ich für überhaupt nicht integriert. Das sind so Pauschalbegriffe, die nicht weiterhelfen, weil die Realität einfach komplexer ist, und es hilft nichts, als sich dieser Komplexität auszusetzen. Es hilft nichts, als zu schauen, wer ist eingewandert, wo kamen die her, welche Probleme haben die. Dann zeigt sich ziemlich schnell, dass es eine Reihe von kulturell bedingten Probleme gibt, die mit der Herkunftskultur der Einwanderer zu tun haben, diese Probleme aber nicht strikt entlang der religiösen Linie verlaufen. Da muss man natürlich aufpassen, dass man nicht apologetisch wird, aber z.B. gibt es an den Schulen nicht nur Probleme mit den türkischen Kindern, es gibt diese Probleme auch mit italienischen oder griechischen Kindern. Das heißt, man muss die kulturell und zum Teil religiös bedingten Probleme – etwa wenn es um Mädchen an den Schulen, oder dem Schwimmunterricht und ähnliches geht – ernst nehmen, aber man muss sie genauso versuchen säkular zu verstehen, wie wir andere Probleme auch säkular verstehen. Wir würden ja den Krieg in Jugoslawien, wo es ja auch um Religion geht, nicht nur mit Religion verstehen, sondern wir ordnen die Religion in einem Kontext anderer Begründungen und Motive ein, und versuchen so zu einem einigermaßen angemessenen Verständnis zu kommen. Jede Art von Antwort, die einfach wäre – „der Islam ist integrierbar“, oder „der Islam ist nicht integrierbar“ – ist alleine aufgrund ihrer Einfachheit falsch.

 

In Ihrem Buch „Wer ist Wir? – Deutschland und seine Muslime“ schreiben Sie, dass die islamistische Ideologie eine bürgerliche Ideologie sei. Häufig ist aber zu lesen, dass der Islamismus der Ausdruck von Benachteiligung und sozialer Deklassierung ist. Ist diese Ideologie ein modernes Phänomen, auch wenn sie sich auf die Überlieferung und die Frühzeit des Islam beruft?

Kermani: Sie ist historisch auf jeden Fall ein modernes Phänomen, weil sie erst im Laufe des späten 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist, und zwar gerade in bürgerlichen Kreisen, also nicht innerhalb der Orthodoxie, sondern eben unter Ingenieuren, Technikern, Ärzten, unter Laien, also ähnlich wie auch der christliche Fundamentalismus, der nicht aus den Kirchen kam, sondern zunächst ein Mal eine Laienbewegung darstellt. Dass natürlich soziale Faktoren, Benachteiligung, Armut dann diese Art von Ideologie befördern oder ihr einen Zulauf bieten, das ist ganz klar. Insofern muss man unterscheiden zwischen den Aspekten, die zur Ausbreitung beitragen, und zu der Ideologie selbst. Die Ideologie selbst ist auch in ihrer Argumentationsweise, die sich eben auch ganz stark auf anti-aufklärerische westliche Strömungen bezieht, durch und durch modern.

 

In der Debatte um den Islam und die Muslime in Deutschland wird oft mit der Angst der Menschen gespielt. Braucht Europa in gewisse Weise den Islam, um sich selbst zu definieren? Ist es Ausdruck der eigenen Identitätskrise?

Kermani: Ich glaube jede Kultur braucht eine andere Kultur, um sich zu definieren. Identifikation läuft immer in Abgrenzung von Anderen. Es ist zunächst einmal ein normaler Vorgang. Es ist auch gar nichts Verwerfliches, es wäre anders gar nicht vorstellbar. Man findet sich selbst, in dem man sich unterscheidet von Anderen. Gefährlich wird es dann, wenn diese Abgrenzung den Charakter von Feindschaft, von Pauschalisierungen einnimmt, und vor allem dann, wenn diese kulturellen Abgrenzungen zu gesellschaftlichen, politischen und juristischen Benachteiligungen der jeweiligen Minderheit oder des jeweiligen Anderen führen. Da sind wir in Deutschland nicht ganz frei davon, aber es ist auch nicht ganz so schlimm, wie Muslime es oft darstellen. Also ich sehe nicht, dass Muslime hier in Deutschland dramatisch benachteiligt sind. Es ist einfach absurd so etwas zu behaupten. Mir geht auch diese Opferrhetorik gehörig auf die Nerven, dass man immer die eigene Benachteiligung sieht. Aber das bedeutet nicht, dass es in Europa zunehmend einen Diskurs der Abgrenzung gibt, der hier und dort zu politischen und juristischen Benachteiligung führt, gegen die man sich wehren sollte.

 

Was in dieser ganzen Debatte um den Islam auffällt, ist dass so gut wie kein Islamwissenschaftler zu Wort kommt. Prof. Wild, einer der renommiertesten Islamwissenschaftler, hatte in einem Leserbrief in einer großen deutschen Tageszeitung diesen Zustand kritisiert. Was sind die Gründe für diese Abwesenheit der Wissenschaft in diesem Diskurs?

Kermani: Weil die Islamwissenschaftler nicht das sagen, was die Medien wollen. Weil die Islamwissenschaftler, so kann man es auch gelegentlich lesen, quasi pauschal dem Islamismus auf dem Leim gegangen sein sollen. Also die Islamwissenschaft wird qua Wissenschaftlichkeit unter Generalverdacht gestellt, weil sie nicht die Antworten bietet, die in den Talkshows gefordert werden. Ein wissenschaftlich fundiertes Urteil ist dort nicht gefragt, und entsprechend werden diese Stimmen auch nicht gefragt, weil sie differenzieren, und Differenzierung braucht Zeit. Sie bietet nicht sofortige pauschale Antworten, sie ist oft nicht in ein zwei Minuten zu erledigen, und das geht in diesem aufgeregten Diskurs vollkommen unter. Im übrigen zeigt sich eben auch daran, dass man auf diese in Deutschland massiv vorhandene Kompetenz verzichtet, dass es eben keine Debatte um den Islam ist, um den Islam geht es nicht wirklich, sondern es geht darum, wie man sich selbst definiert. Der Islam dient hier oft als Folie.

 

Man muss ja auch klar sagen, dass auch in Deutschland die Gefahr terroristischer Anschläge hoch ist. Was sind die Ursachen dieser religiös motivierten Gewalt? Wieso sind gerade gut integrierte Jugendliche empfänglich für diese Ideologie?

Kermani: Das ist ähnlich, wie in vielen anderen Fällen des Terrorismus. Die Akteure selbst, die die Tat ausführen – das war ja bei der RAF genauso – zwar im Namen größerer Kollektive handeln, also sagen wie etwa den Arbeitern oder Benachteiligten, im Falle der muslimischen Terroristen im Namen der islamischen Welt, aber selbst eigentlich nicht dazugehören, jedenfalls nicht diese Benachteiligung am eigenen Leib gespürt haben. Es gibt verschiedene Ursachen, die dazu führen, dass es diese Gewalt gibt. Aber in der Tat was richtig ist, und das wissen ja auch die Geheimdienste, dass das Problem der politischen Gewalt in Deutschland im Namen des Islams verübt, weniger ein Problem der Integrationsunfähigkeit, denn die so genannten Parallelgesellschaften, die Türken, die in den Teehäusern hocken, sind fast nie auffällig, was Gewalt betrifft. Sie schlagen vielleicht ihre Frau oder ähnliches, aber sie werden nicht politische Gewalttäter, während die Gewalt in der Tat aus Kreisen kommt, von denen man es eigentlich nicht erwarten würde. Sie sprechen gut Deutsch, sind gut integriert, haben meistens säkulare Eltern. Was vielleicht zu dieser Radikalisierung von Tradition führt, ist dass es eigentlich keine Tradition gibt. Man kehrt zurück zu etwas, was man eigentlich gar nicht hatte, was die Eltern gar nicht hatten. Dass heißt, dieser ganze Puffer von jahrhunderte gewachsener Orthodoxie und Tradition fällt weg, man geht zurück zum nackten Wort, und wenn man das dann wörtlich auslegt, dann wird es in der Tat oft kriminell.

 

Sie sind ja auch Mitglied der Deutschen Islam Konferenz. Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit, und was sind ihre Erwartungen für die Zukunft? Was kann die Deutsche Islam Konferenz bewirken?

Kermani: Die Islamkonferenz ist erst ein Mal ein großes symbolisches Ereignis. Allein ihr Zustandekommen ist ein Fortschritt. Dass überhaupt diese Leute gezwungen werden, die deutschen Politiker auf der einen Seite, und eben auch Muslime in ihrer ganzen Heterogenität, in ihrer ganzen Vielfalt, zusammenzukommen ist ein Fortschritt. Dann gibt es eine ganze Reihe von guten Ergebnissen in den einzelnen Arbeitsgruppen, etwa beispielsweise was die Arbeitsgruppe ‚Medien’ betrifft. Da wird auch konkret mit Redaktionen gesprochen, und es gibt verschiedene Workshops. Auch in der Arbeitsgruppe ‚Schule’ sind ganz gute Leitlinien erarbeitet worden. Aber die Zusammensetzung der Islamkonferenz ist so heterogen, und zwar sowohl in ihrer islamischen Zusammensetzung, als eben auch in ihrer staatlichen Zusammensetzung, weil dort praktisch alle Parteien vertreten sind, dass man dort überhaupt nicht erwarten kann, dass es zu wirklich konkreten Ergebnissen kommen wird. Es sind allgemeine Meinungsbekundungen, und die sind auch ganz in Ordnung, aber man muss die praktischen Erwartungen relativ niedrig hängen. Es wird nicht die Lösung der Probleme sein, es ist eher das Anerkennen, dass es die Probleme gibt, eher ein Anerkennen, dass der Islam nun eine gesellschaftlich relevante Größe geworden ist.

 

Herr Kermani, vielen Dank für dieses Gespräch.

1 Kommentar

  1. peppi says

    Ich finde in letzter Zeit immer mehr, dass Her Kermani als Islamwissenschaftler das sagt, was die Medien möchten. Sätze von der „Opferrhetorik“, die ihm auf die Nerven geht fallen zum Teil wortwörtlich in der gleichen Form beispielsweise auch von den Damen Kelek und Cileli. Persönliche Erlebnisse seiner Tochter in der Schule erlangen durch Herrn Kermani plötzlich den Anschein von Allgemeingültigkeit und die Türken in den Teehäusern schlagen ihre Frauen.

    Es ist traurig mitanzusehen, dass man als Wissenschaftler in Deutschland bei diesem Thema unbedingt einseitig polemisch sein muss, um wahrgenommen zu werden. Der Satz über die Islamwissenschaftler, die nicht das sagen, was die Medien brauchen ist somit gar keine Kritik, sondern scheint eine Gebrauchsanweisung für Herrn Kermani selber zu sein. Schade, noch mehr Ungleichgewicht hat es in diesem Zusammenhang wirklich nicht gebraucht.

  2. jaydee says

    Die rhetorische Figur, die Kermani benutzt, dass alles differenziert zu betrachten sei, ist in der Allgemeinheit, in der dies ausgesprochen wird ebenso unsinnig, wie das, was damit bezeichnet werden soll. Sicherlich gibt es in der Diskussion um den Islam in Europa resp. Deutschland viele Plattheiten, keine Frage. Aber ist es denn soviel besser, ewig vom Differenzierungsanspruch zu reden? Ohne dass man sich auf ganz konkrete soziale Gegebenheiten bezieht, ist solch ein Diskursstil nur eine Form von Totschlagargumentation.
    Wir kommen nicht umhin festzustellen, dass islamische Glaubensinhalte apodiktisch sind -ganz gleich ob dies auch auf christliche zutrifft. Der Islam, als religiöses System, hebt sich schon sprachlich von den „normalen“ Menschen aus den Kulturkreisen seiner Verbreitung ab. Er ist in einem Schriftabrabisch gehalten, dass von vielen Muslimen gar nicht verstanden wird. Was transportiert wird, sind immer kulturell geprägte
    Interpretationen dieser Religion und der mit ihr verbundenen Lebensweise. Grundlegend jedoch, für die über alle Kulturen hinweg interpretierte Auslegungen, waren und sind die Interpretation des indischen Islamgelehrten Maududi. Seine universalistische Auslegung des Islam hat bis heute noch eine weltweite Wirkung im Islam, bis hin zu islamistischen Strömungen. Die Islaminterpretation dieser Provenienz, prägt bis heute immer noch die Deutungssysteme. Man kann also gar nicht von einem kulturell und national zu differenzierenden Islam reden. Die Interpretationen islamischer Gelehrter sind jenseits kultureller Prägung angesiedelt, sie sind, ob ihres universalistischen Anspruchs gleichsam selbst universalistisch. Wenn man also von kulturellen Unterschieden redet, so sollte es man nicht in der Form religiöser Systeme tun, das aber wird ständig getan. Das pseudodifferenzierende Gerede hat im islamisch religiösen Kontext überhaupt keine Grundlage. Die Interpretation von Maududi hat in den Islam eine fatale ideologische Schärfe gebracht, die sich über die Entstehung der ägyptischen Muslimbrüder bis hin zu heutigen, auch gemäßigten Interpretationen des Islam zieht. Es ist der grundlegende Unterschied zu westlichem Denkender Aufklärung, der in dem ganzen Diskurs immense Probleme bereitet, und das ist nicht „wegzudifferenzieren“. Die Trennung von Kirche und Staat, die Anerkennung von säkularen Errugnenschaften ist bis heute im Islam nicht zu finden. Dabei ist es gleichgültig ob gläubige Muslime aus der Türkei, Afghanistan, Marokko oder sonst wo her kommen. Wenn die islamische Religion Basis des Lebens und Handelns ist, sind kulturelle und nationale Unterschiede eher zu vernachlässigen. Als bestes Beispiel kann man dabei anführen, dass es in k e i n e Land, in dem der Islam das vorherrschende Religionssystem ist, auch nur ansatzweise demokratische Entwicklungen gegeben hat. Dabei haben wir noch gar nicht von der Verbindung von Religion und Macht geredet.
    Wie gesagt,“ differenzierungstechnisch“ kommen wir in diesem Diskurs nicht weiter.

Hinterlasse einen Kommentar