„Der Orient ist bei der Suche nach Glück viel weiter“

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Jürgen Todenhöfer war fast zwei Jahrzehnte CDU-Bundestagsabgeodneter und noch einmal genau so lang Vizechef des Burda-Verlages. Als Privatier blieb er seinen Auffassungen treu – und fand Zeit und Muse, sich neue Horizonte zu erschließen.

Jürgen Todenhöfer mit afghanische Waisenkindern im Sommer 2009

Jürgen Todenhöfer mit afghanische Waisenkindern im Sommer 2009

Ihr neues Buch „Teile Dein Glück“ ist ein sehr persönliches Buch, in dem Sie sehr viel von sich preisgeben. Bisher hatten Sie eher politische Bücher geschrieben. Wieso jetzt ein solch persönliches intimes Buch?

Jürgen Todenhöfer: Es ist die Summe meiner persönlichen Lebenserfahrungen. Ich glaube, dass manche dieser Erfahrungen auch für andere wichtig sein können. Die fröhlichen genauso wie die traurigen.

Sie gehören zu den heftigsten Kritikern der Kriege im Irak und in Afghanistan. Ist Ihr neues Buch auch ein Ergebnis Ihrer Erfahrungen, die Sie auf ihren zahlreichen Reisen in die Kriegsgebiete gemacht haben?

Todenhöfer: Es ist ein Buch über alle Bereiche eines Lebens. Natürlich auch über die westliche Außenpolitik. Zwischen dem, was wir öffentlich als Menschenrechte postulieren, und der praktizierten Außenpolitik des Westens besteht ein himmelschreiender Unterschied, den wir nicht wahrnehmen wollen. Wir sehen immer nur den Splitter im Auge der anderen, vor allem der Muslime, aber nie den Balken im eigenen Auge.

Sie schreiben, Sie seien nie ein richtiger Politiker gewesen. Was hat Ihnen denn gefehlt zum richtigen Politiker?

Todenhöfer: Es gibt Dinge, bei denen ich nie Kompromisse gemacht habe und machen werde, z.B. wenn es um die Würde von Menschen und um Menschenleben in Kriegen geht. Oder um die Herabsetzung von Minderheiten in unserem Land. Da konnte ich nie Kompromisse schließen. Das war manchmal äußerst karrierehinderlich. Aber es hat mich letztlich nie gestört, weil es eine viel wichtigere Form der Karriere gibt, die darin besteht, dass man seinen eigenen Weg konsequent zu Ende geht.

Was kann der Westen von den Menschen etwa im Irak oder Afghanistan lernen, die uns durch die Medien nicht selten als Barbaren präsentiert werden?

Todenhöfer: Über die Kriege im Irak und Afghanistan wird fast ausschließlich von embedded journalists berichtet, das heißt von Journalisten, die mit Militärs durch das Land fahren. Die entscheiden dann für sie, wohin sie kommen, was sie sehen und wen sie treffen. Die Einheimischen, mit denen sie sprechen, werden angesichts der auf sie gerichteten Maschinenpistolen nie die volle Wahrheit erzählen.

Ähnlich ist das natürlich auch mit Politikern, die embedded „nach Afghanistan reisen“, dann in einer Kaserne landen, die durch Panzer, Raketen und meterdicke Betonmauern geschützt ist, und deren Luftraum gesperrt ist. Sie behaupten anschließend, sie seien in Afghanistan gewesen. Der Ort, an dem Sie waren, aber hat mit dem wahren Afghanistan nichts zu tun. Sie könnten eigentlich hier bleiben, in eine deutsche Kaserne gehen und hier mit aus Afghanistan zurückgekehrten Soldaten sprechen.

Unsere Politiker und Medien zeigen uns fast immer nur die eine Seite der Medaille. Mehr haben sie ja auch nicht gesehen. Ein Beispiel: In Afghanistan sterben pro Tag zwei bis drei Menschen. Haben Sie je etwas drüber gelesen? Wir lesen lange Artikel, wenn ein deutscher Soldat stirbt. Zu Recht! Wir lesen jedoch nur selten etwas, wenn ein afghanischer Mensch stirbt. Und es sterben viel mehr afghanische Zivilisten als deutsche Soldaten. Wir bekommen nur die eine Seite der Wahrheit präsentiert. Zum Beispiel wenn wie im Fall der Reise des Ehepaars Guttenberg zwei schöne Menschen Krieg spielen.

Hinzu kommt, dass Szenen, in denen im westlichen Fernsehen randalierende, anti-westliche Slogans schreiende Menschenmassen gezeigt werden, häufig von den westlichen Fernsehteams arrangiert sind. Ich habe in Bagdad ein Jahr vor dem Krieg erlebt, wie auf zwei Lastwagen Menschen herbeigekarrt wurden, die auf ein Zeichen des westlichen Kameramanns anfingen anti-amerikanische und anti-israelische Slogans zu schreien. Das konnte man dann abends im deutschen Fernsehen sehen und sich empören.

Einmal habe ich im persischen Isfahan gesehen, wie jemand in der Ecke eines riesigen Platzes eine Rede hielt. Er hatte kaum Zuhörer, vielleicht 50 Leute. Aber es war eine westliche Fernsehkamera dabei, die darauf wartete, dass er irgendetwas anti-westliches von sich gab. Auf dem großen Platz in Isfahan wurde es fast nicht beachtet. Aber Millionen Menschen im Westen wurde er als iranische Realität vorgesetzt. Wir schaffen uns oft selbst die Zerrbilder, über die wir uns dann empören.

In Deutschland wird in der letzten Zeit oft über Werte und eine Leitkultur debattiert. Welche zentralen Werte möchten Sie mit Ihrem Buch vermitteln?

Todenhöfer: Die Werte, die in unserer Verfassung stehen! Ich hatte in jungen Jahren einen Lehrauftrag im Staatsrecht und habe damals versucht, jungen Studenten beizubringen, was in unserer Verfassung steht. Sie beginnt mit der Würde des Menschen, die unantastbar ist. Unsere Verfassung fordert, dass niemandem ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren die Freiheit entzogen werden darf. Wo aber wird die Würde der Afghanen respektiert? Wo werden gefangene afghanische Kämpfer vor ein ordentliches Gericht gestellt? Sie saßen und sitzen noch immer in einem der schlimmsten Löcher Afghanistans, in Bagram, in der Nähe von Kabul. Sie werden wie Tiere behandelt. Keine Anwälte. Nichts.

Einer der zentralen Werte, auf die wir uns alle immer wieder berufen, gerade wenn wir von der sogenannten christlichen Leitkultur sprechen, ist die Nächstenliebe. Wo ist die Nächstenliebe des Westens in Afghanistan und im Irak? Haben Sie einmal festgestellt, dass ein führender deutscher Politiker auf einer seiner PR-Reisen nach Afghanistan einen Tag oder eine Nacht in das Dorf bei Kunduz gegangen wäre, in dem wir 140 Menschen zu Asche verbrannt haben? Dort leben jetzt Dutzende afghanischer Waisen. Ich baue gerade in Kabul für sie ein Waisenhaus. Der deutsche Verteidigungsminister verleiht Tapferkeitsmedaillen, und ich darf dann Waisenhäuser bauen.

Kann man den seelischen Zustand einer Gesellschaft daran erkennen, wie es mit den Schwächsten und Ärmsten umgeht?

Todenhöfer: Ich glaube, dass eine Gesellschaft viele Aufgaben hat, und das nur eine von ihnen ist. Aber sie ist eine wichtige, zentrale Aufgabe. Da können wir von den östlichen und orientalischen Ländern viel lernen, weil sie ihre alten Menschen nicht ausspucken, sondern in ihren Familien halten, von ihnen lernen und ihnen bis ans Lebensende etwas zurückgeben.

Haben Sie auf Ihren Reisen die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die sehr wenig haben, eher bereit sind zu teilen, als wir hier in der Überflussgesellschaft?

Todenhöfer: Ja, vor allem in muslimischen, aber auch in hinduistischen und buddhistischen Ländern. In der Frage der Nächstenliebe sind wir selbst noch ein Entwicklungsland.

Sie berichten in Ihrem Buch von Ihrem Geburtstag, den Sie alleine in einem New Yorker Imbiss verbracht haben, und schildern ihre Einsamkeit, während Sie aber auf ihren Reisen in den Irak und Afghanistan von wildfremden Leuten, die nichts hatten, freundlich empfangen wurden und das bekommen haben, was Sie hier nicht bekamen.

Todenhöfer: Ich bin nicht immer einsam. Nur manchmal. In den muslimischen Ländern habe ich stets eine überwältigende Hilfsbereitschaft erfahren. Die Menschen haben häufig sogar ihr Leben für mich riskiert. Seit ich 18 war und während des Algerienkrieges Nordafrika bereiste, hat man mich auf all meinen Reisen immer gefragt, ob und wie man mir helfen könne. Ich habe immer Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit erlebt. Die muslimischen Menschen schenkten mir fast immer ein Lächeln. Das war manchmal viel wert.

Als ich das Buch „Teile dein Glück“ geschrieben habe, bin ich nochmals vier Monate durch Asien gereist und vier Wochen durch Amerika. Deswegen endet mein Buch auch mit dem Appell „Mach viel aus Deinen Talenten“, das ist sehr westlich, und „Teile Dein Glück“, das ist östlich. Der Orient ist bei der Suche nach Glück und beim Teilen von Glück viel weiter.

Für mich ist ein Bild symbolisch, das ich gesehen habe, als ich im Februar letzten Jahres zum Khaybar-Pass fuhr. In eine Region, in die man als Ausländer eigentlich gar nicht mehr fahren darf, weil dort ständig Kämpfe stattfinden. Es ist eine finstere und gefährliche Gegend. Als wir dort wegen eines Staus langsam fahren mussten, kam uns auf der anderen Straßenseite ein strahlender etwa 12-jähriger pakistanischer Junge entgegen. Er trug auf seinem Rücken einen etwa gleichaltrigen gelähmten Jungen.

Ich bin ausgestiegen und habe ihn gefragt, warum er so strahle. Er erzählte mir, dass er jeden Tag zwei Stunden lang seinen gelähmten Bruder spazieren trage. Staunend habe ich gesagt: „Aber der ist doch schwer…“ Er antwortete: „Aber er ist mein Bruder“ und ging strahlend weiter. Er hat sein Glück geteilt, obwohl er keins hatte. Beim Nachdenken bin ich dann irgendwann darauf gekommen, dass er das Glück geteilt hat, gesund zu sein. Auch ich hatte vergessen, welch ein Glück das ist.

Viel wird in der letzten Zeit über die Zuwanderung gesprochen. Sarrazin hat hier eine Debatte angestoßen, die von einigen politischen Gruppen und Medien in eine bedenkliche Richtung gelenkt werden. Wie bewerten Sie die Art und Weise der Debatte? Sind die hier lebenden Muslime eine Gefahr für Deutschland?

Todenhöfer: Wir haben in Deutschland wie viele Industrieländer ein ernstes Problem mit Immigranten. Das müssen wir mit Weitsicht, Klugheit, Beharrlichkeit und Fairness regeln. Aber nicht mit Hass.

Das Buch Sarrazins, das ich gelesen habe, ist leider voll Hass und teilweise ziemlich töricht. Ich glaube, dass die von ihm in die Welt gesetzte These über die angebliche Minderwertigkeit muslimischer Menschen viele unserer muslimischen Mitbürger tief verletzt und verunsichert. Und dass sie unseren Ruf als weltoffenes Land gefährdet.

Die Äußerungen Sarrazins sind nicht nur rassistisch, sondern auch unchristlich. Ich möchte in keiner Kultur leben, die von Menschen wie Sarrazin geprägt ist. Es ist erstaunlich, dass man 75 Jahre nach der deutschen Katastrophe wieder mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus Millionär werden kann. Für mich sind unsere muslimischen Mitbürger grundsätzlich eine Bereicherung unserer Kultur.

1 Kommentar

  1. mbl100 says

    Das klingt alles sehr schön… Wäre das eine späte „Bekehrung“? Wer so lange dem System gedient hat, muss ja auf irgendeine Weise mit dem (menschenfeindlichen) System einig gewesen sein…

  2. Martina Herbst says

    Endlich mal eine gerechte Stimme, die die Wahrheit sagt. Danke Herr Todenhöfer.

  3. Wayne says

    @mdl100:
    So wie ich Ihre aussage deute, waren Sie sicherlich schonmal in Afghanistan und wissen wovon Sie reden? Oder haben Sie den Spruch nur mal so in Ihrer Stammkneipe aufgegriffen und wollen Ihren Senf dazu geben? Kennen Sie persönlich Muslime oder nur die „bösen“ aus dem Fernsehen?

  4. Murid says

    Ich hoffe, dass er seinen Weg fortsetzt und nicht nur da aufhört, bis er mit uns das größte Glück, die größte Gabe Gottes „Incha Allah“ teilt

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