Gauck setzt auf die Märkte

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Gespräch mit dem Bestseller-Autor und Mitherausgeber der NachDenkSeiten Albrecht Müller über sein neues Buch „Der falsche Präsident – Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich mit ihm werden“. Albrecht Müller, der Willy Brandts Wahlkampf 1972 und die Planungsabteilung unter Brandt und Schmidt leitete, teilt die Hoffnung einiger nicht, in Gauck nun den richtigen Bundespräsidenten gefunden zu haben. Denn Gauck nehme die aktuellen, großen Bedrohungen unserer Freiheit nicht ernst genug, nämlich die Macht der Finanzwirtschaft, den Abbau der sozialen Sicherheit und die Erosion der Demokratie

Albrecht Müller: "Mein Eindruck ist, dass einige Vertreter großer Interessen und mächtige Medienmacher sich Joachim Gauck ausgeguckt haben, um damit einen Bundespräsidenten zu bekommen, der immer wieder Zuckerguss über die Probleme und Schattenseiten unseres Landes kippt und damit den Eindruck erweckt, als sei eine Alternative zur jetzigen Politik und Ideologie nicht nötig."

Albrecht Müller: "Mein Eindruck ist, dass einige Vertreter großer Interessen und mächtige Medienmacher sich Joachim Gauck ausgeguckt haben, um damit einen Bundespräsidenten zu bekommen, der immer wieder Zuckerguss über die Probleme und Schattenseiten unseres Landes kippt und damit den Eindruck erweckt, als sei eine Alternative zur jetzigen Politik und Ideologie nicht nötig."

Herr Müller, Sie behaupten, dass Joachim Gauck der falsche Präsident ist. Aber die Mehrheit der Bevölkerung scheint hinter Gauck zu stehen und er wurde auch mit großer Mehrheit gewählt. Was sind ihre Gründe dafür, in Gauck den falschen Präsidenten zu sehen?

Albrecht Müller: Zum Zeitpunkt der Wahl des neuen Bundespräsidenten wussten die meisten Menschen nichts Genaues von Joachim Gauck. Das fand ich bei Diskussionen und Gesprächen immer wieder bestätigt. Dass Gauck bei Umfragen dennoch gut abschnitt, ist nicht verwunderlich. Alle etablierten Parteien haben sich für seine Nominierung ausgesprochen. Da liegt es nahe, dass die überwiegende Mehrheit der Sympathisanten dieser fünf Parteien CDU, SPD, CSU, FDP und Grüne ihre Parteisympathien auch auf den Kandidaten dieser Parteien übertragen. Außerdem haben nahezu alle Medien – von der Bild-Zeitung bis zum Spiegel – Reklame für Joachim Gauck gemacht. Dennoch bleibt ein gewaltiges Defizit an Kenntnissen über das neue Staatsoberhaupt. Deshalb habe ich das kleine Buch geschrieben. Ich habe dort viele seiner bisherigen Äußerungen dokumentiert und diese Texte erläutert und kommentiert. Einige der Rezensionen meines Buches sehen schon darin einen großen Gewinn: wer das Büchlein liest, ist besser informiert über die Gedanken von Joachim Gauck. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Leserin oder ein Leser auch meinen kritischen Fragen und Anmerkungen folgt. Die meisten, die sich näher mit unserem neuen Bundespräsidenten beschäftigen, können meine kritischen Fragen allerdings gut nachvollziehen.

An Pfarrer Gauck gibt es einiges zu kritisieren. Die wichtigsten Defizite sind aus meiner Sicht: Er kann sich nicht in die Lage von Menschen versetzen, denen es wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht besonders gut geht; er beschönigt die Lage unseres Landes, weil er zum Beispiel vom gehetzten Leben einer Alleinerziehenden oder vom Stress eines Arbeiters am Fließband oder vom Frust jener jungen Menschen, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln, wenig weiß. Niedriglohnsektor, Leiharbeit, Überschuldung – das sind Lebenswelten, die unserem neuen Bundespräsidenten leider fremd sind.

Es wäre zu wünschen, wenn er im Amt noch lernen würde, die reale Welt dieses beachtlich großen Teils unseres Volkes noch wahrzunehmen.

Was muss Gauck tun, um noch die Kurve zu kriegen? Es ist doch erstaunlich, wenn Gauck die „Freiheit“ zu seinem Thema macht, aber zur Finanzkrise kaum ernst zunehmende Worte von sich gibt…

Albrecht Müller: Wahrscheinlich hat er nicht verstanden, oder will es nicht wahrhaben, wie sehr die von ihm gepriesene Demokratie und Freiheit von einer übermächtigen Finanzwirtschaft ausgehebelt und bedroht wird. Viele politische Entscheidungen der letzten Jahre und Jahrzehnte sind nur zu verstehen, wenn man in Rechnung stellt, dass die Interessen der Finanzwirtschaft die Hand der Politikerinnen und Politiker führt: dass zum Beispiel so viele öffentliche Unternehmen – von der Bundesdruckerei über die Autobahn-Raststätten bis zu Wasserwerken und Kliniken – privatisiert worden sind, kann man nur verstehen, wenn man das Interesse von Banken und großen Geldgebern an den Schnäppchen aus öffentlichem Eigentum erkennt. – Ohne mit der Wimper zu zucken, wurde bei uns jede Bank gerettet; uns Steuerzahlern wurden damit die Wettschulden der Zocker im Finanzcasino aufgebürdet; 10 Milliarden mindestens für die kleine Bank IKB in Düsseldorf, vermutlich schon weit über 100 Milliarden für die Münchner Bank HRE, 18,2 Milliarden für 25 % der Commerzbank usw. – unglaubliche Vorgänge, die die Abhängigkeit der entscheidenden Politiker von der Finanzwirtschaft zeigen. – Die Altersvorsorge wird privatisiert und mit öffentlichem Geld, mit dem Geld von uns Steuerzahlern subventioniert – völlig unnötigerweise. Mit einer gesetzlichen Rente, deren Leistungsfähigkeit man durchaus erhalten könnte, würden wir alle sehr viel besser fahren.

Pfarrer Gauck weiß leider nicht oder er verschließt die Augen davor, dass bei uns politische Korruption inzwischen üblich geworden ist. Einzelne verdienen an der Privatisierung öffentlicher Unternehmen, andere verdienen an Riester-Rente und Rürup-Rente; die Investmentbanker verdienen an maßlosen Spekulationen, für deren Risiken wir Steuerzahler am Ende bürgen. Dass wir jetzt einen Bundespräsidenten haben, der diese Machenschaften nicht kennt, ist schon bedrückend.

Wenn wir heute von Freiheit sprechen, geht es da nicht in erster Linie um ökonomische Freiheit? Wie kann dann Gauck über Freiheit dozieren, wenn er die Auswüchse des entfesselten Kapitalismus ignoriert?

Albrecht Müller: Wenn ich Pfarrer Gauck über Freiheit reden höre, dann beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Es ist zu aufgesetzt. Er weiß offenbar auch nichts davon, wie sehr die Freiheit von uns Menschen in der Wirklichkeit von unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage mitbestimmt wird. Erst die soziale Sicherheit gibt vielen Menschen wirkliche Freiheit. Das wissen viele Menschen offenbar besser als er. Wenn ein Schüler in einem einigermaßen ordentlichen Gymnasium im Abituraufsatz so über Freiheit sprechen würde, ohne den Spannungsbogen zur Sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit zu würdigen, dann würde er mit Recht schlecht benotet.

Joachim Gauck setzt auf die Märkte. Er weiß, so muss man leider aus seinen Texten und Reden schließen, nichts davon, dass es Marktversagen gibt, dass also die Marktwirtschaft der gezielten Rahmensetzung bedarf. Ich habe deshalb in meinem Buch konkret an Hand von acht Punkten beschrieben, wo Marktversagen korrigiert werden müsste – von der Sicherung des Wettbewerbs bis zur Notwendigkeit staatlicher Konjunkturpolitik. Dies alles kommt im Weltbild des neuen Bundespräsidenten bisher nicht vor. Hoffentlich macht er den Versuch, sich wirtschaftspolitisch etwas fortzubilden. Wenn er meine 64 Seiten lesen würde, dann hätte er schon ein ganzes Stück gewonnen. Noch mehr gewönne er, wenn er sich mit den amerikanischen Ökonomen Krugman und Galbraith oder ihren deutschen Kollegen Flassbeck, Bofinger und Horn beschäftigen würde.

Auch in der Sarrazin-Debatte attestierte Gauck Sarrazin „Mut“, und sorgte in Teilen der Bevölkerung für Irritationen. Sollte da ein Bundespräsident nicht sensibler sein?

Albrecht Müller: Unbedingt. Jemanden, der aktive Volksverhetzung betreibt, mutig zu nennen, ist das Gegenteil dessen, was wir von führenden Personen unseres Landes verlangen müssen. Es wäre gut, Gauck würde seine Fehleinschätzung korrigieren. Das müsste eigentlich zumindest ein Teilthema einer seiner nächsten Reden sein.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Gauck zum TINA-Präsidenten werden kann: „There is no alternative.“ Gerade in diesen so „alternativlosen“ Zeiten brauchen wir doch einen Präsidenten, der unbequem ist und auch mit den Regierenden und Mächtigen streitet. Aber er scheint sein Fokus eher woanders zu sehen…

Albrecht Müller: Mein Eindruck ist, dass einige Vertreter großer Interessen und mächtige Medienmacher sich Joachim Gauck ausgeguckt haben, um damit einen Bundespräsidenten zu bekommen, der immer wieder Zuckerguss über die Probleme und Schattenseiten unseres Landes kippt und damit den Eindruck erweckt, als sei eine Alternative zur jetzigen Politik und Ideologie nicht nötig. Wir bräuchten aber einen Bundespräsidenten, der Anstöße zum kritischen Denken liefert und prinzipiell verstanden hat, dass Demokratie nur dann leben und blühen kann, wenn die regierenden mit der Ablösung durch eine Alternative rechnen müssen. Andernfalls sind sie nicht genötigt, sich anzustrengen und Fehler zu vermeiden. Ohne Alternativen, ohne die Drohung mit Alternativen, stirbt die Demokratie. Das sollte der Lehrer der Demokratie, wie Gauck sich nennen lässt, sehr schnell verinnerlichen.

1 Kommentar

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  2. Reiner Schütze says

    Ich befürchte, Gauck spielt in der strategischen Planung des Springerverlages im Kampf gegen die Kommunisten, die ja in China die Macht haben (und ihre politische und wirtschaftliche Stärke wächst weiter) eine besondere Rolle. Als Freiheitsprediger und als bekennender Antikommunist bietet er sich für die ideologischen Auseinandersetzungen des kommenden 2. Kalten Krieges bestens an. Auch die Reise nach Israel passt in diese Überlegungen.

  3. Joachim Schäffer says

    Wenn es denn bloss bei diesem 2. Kalten Krieg bleibt. Geschichte wiederholt sich nicht. Es sind nicht mehr nur zwei politisch stabile Blöcke beteiligt, die sich die Welt aufteilen. Dazu ist der Kuchenauch noch kleiner geworden.
    Dazu kommt die systemübergreifende Wachstumsphilosphie und der Glaube an die Macht des Marktes (Geldes). Es wird leider früher rappeln, als es sich der kriegslüsterndste Politiker vorstellen kann. Wir brauchen nur die Politik unserer Volksvertreter (gestützt durch die sog. Opposition einschliesslich oben genannten Staatsoberhauptes) anzuschauen. Wenn das nicht vollkommene Verblödung ist, dann kann es ja wohl nur Vorsatz sein….
    Oh weh…. dann gute Nacht.

  4. K.S. says

    kurz zu Herrn Schäffer, der sagt, dass sich Geschichte nicht wiederhole.
    Ich denke, dass sie sich solange wiederholt, bis die Menschen die Fehler, die gemacht worden sind, als solche erkannt, benannt und mit dem festen Vorsatz, diese nicht zu wiederholen und zukünftig besser arbeiten zu wollen. Dann wiederholt sich die Geschichte nicht.

    Die Ausführungen von Herrn Müller bestätige ich auch. Gauck, so sehe ich ihn nun nach seinem Amtsantritt, wird genau so ein Winkaugust sein, wie alle anderen. Das Amt ist überflüssig, kostet viel Geld und hat keinen wirklichen Nutzen für Deutschland und die Welt. Erst recht, wenn die Präsidenten mit schönen Reden die schlechten Taten der Regierung verschleiern sollen.

  5. Eigentlich ist es ja gar nicht so verkehrt, auf Märkte zu setzen. Das Problem ist nur, dass die Menschen dabei abgesichert sein müssen, wenn die Märkte sich entfalten und auch mal versagen. Leider geht der Trend momentan in die völlig kranke Richtung der noch geringeren Sicherheit.

    Dass Gauck kein guter Präsident ist, war aber von Anfang an klar. Sonst wäre er doch niemals von Union, SPD etc. gewählt worden. Selbst wenn er sich mehr (materielle) Freiheiten für uns wünscht, würde er sofort von der Presse und den Politikern zerrissen werden. Es herrscht doch seit Schröder öffentliches Denkverbot, wenn es gegen das momentane Politsystem geht.

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