Bekir Alboga: Klartext nur auf Türkisch

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Die Nachricht des Kölner Stadt-Anzeigers am 4. Mai 2018 über die Bewerbung des DITIB-Funktionärs Bekir Albogas auf eine Kandidatur für die AKP bei den kommenden türkischen Parlamentswahlen sorgte für Aufsehen in Deutschland. DITIB erklärte sofort, dass es sich dabei um eine „persönliche Entscheidung“ Albogas handele, die keinen Bezug zum Verband habe. Auf Medienanfragen reagierte Alboga mit der Stellungnahme, dass er während seiner politischen Tätigkeit seine Ämter bei DITIB niederlege.

Diese Nachricht hatte natürlich zu einer wiederholten Debatte über die Ausrichtung und die Unabhängigkeit der DITIB geführt. Denn Alboga war nicht irgendein Funktionär, sondern prägte lange Jahre das öffentliche Gesicht der Organisation. Die Bewerbung für eine Kandidatur hat natürlich Vorwürfe über eine mangelnde Unabhängigkeit von Ankara wieder hochkochen lassen, die die Öffentlichkeit schon seit längerem beschäftigt. Gerade Alboga in seiner DITIB-Funktion hatte immer wieder gebetsmühlenartig klargestellt, dass die DITIB parteipolitisch unabhängig und unpolitisch sei. Eine Abhängigkeit zur Türkei bestehe nicht, sondern man sei eine deutsche Religionsgemeinschaft, die nur ihre Imame von der türkischen Religionsbehörde Diyanet beziehe. Mit dieser Bewerbung und klaren parteipolitischen Positionierung eines führenden Funktionärs bekam diese PR-Fassade der DITIB tiefe Risse.

Vergangenen Sonntag mussten die türkischen Parteien ihre endgültigen Kandidatenlisten bei der Wahlbehörde einreichen. Bekir Alboga schaffte es nicht auf die Liste, so dass er bei den Parlamentswahlen nicht zur Wahl stehen wird. Seine politische Karriere fand ein abruptes Ende. In der Montagsausgabe des Mannheimer Morgens bestätigte Alboga seine Nichtberücksichtigung und kommentierte diese mit der Aussage: „Ich weiß nicht, woran es lag.“ Nach dem Scheitern hatten sich viele Beobachter natürlich die Frage gestellt, ob er wieder zu DITIB zurückkehren wird oder nicht. In der heutigen Ausgabe der Rheinischen Post wurde Alboga wiederum mit den Worten zitiert: „Aus familiären und anderen persönlichen Erwägungen heraus, habe ich von einer Kandidatur Abstand genommen“. Er werde nun seiner bisherigen Tätigkeit bei der DITIB wieder nachgehen. Im Verlauf des Tages wurde diese Aussage auf der Internetseite der Rheinischen Post allerdings wieder gelöscht, weil Alboga sein Zitat plötzlich doch zurückzog. Und es wird in dem Artikel der Rheinischen Post jetzt nur noch angedeutet, dass Alboga mit dem Gedanken spielt, wieder zur DITIB zurückzukehren.

Diese widersprüchlichen Aussagen führten natürlich zu Irritationen. Wusste jetzt Alboga nicht, warum er nicht berücksichtigt wurde, wie er es dem Mannheimer Morgen noch vor drei Tagen gesagt hatte? War das Zitat in der Rheinischen Post von heute, dass er aus familiären Gründen von einer Kandidatur Abstand genommen hat, ein strategischer Move, um sich zurück in die DITIB zu reden? Fest steht, dass er von seiner Kandidatur nicht zurückgetreten ist. Bis zum Ende der Bewerbungsphase stand sein Name auf der Liste der möglichen Kandidaten in seinem Heimatort Konya.

Man kann in Teilen der Gemeinden der DITIB einen große Unmut gegenüber Albogas Versuch einer politische Karriere in der Türkei entnehmen. Hinter vorgehaltener Hand empören sich Gemeindemitglieder über diesen verantwortungslosen Schritt eines führenden Funktionärs des Verbands, weil natürlich die Basis am besten weiß, mit was für Fragen und Vorwürfen sie deswegen wieder einmal zu rechnen haben. Die Frage ist, ob DITIB ihn noch zurück haben will, denn dieser Schritt von ihm, sich bei den Parlamentswahlen in der Türkei aufstellen lassen zu wollen, war definitiv nicht zum Wohle einer Organisation, dessen Interessen – so kann man zumindest vermuten – er in den langen Jahren seiner DITIB-Tätigkeit vertreten hat. Gerade dieses Vorgehen Albogas  wirkt zu den Aussagen des DITIB-Vorsitzenden nach den letzten Vorstandswahlen im vergangenen Dezember, dass DITIB eine „deutsche islamische Religionsgemeinschaft“ sein wolle, wie blanker Hohn.

Neben dem Wirrwarr um seine widersprüchlichen Aussagen im Mannheimer Morgen und in der Rheinischen Post, ist es sehr aufschlussreich auch mal einen Blick in die türkischsprachige Presse zu werfen. Denn dort hat er – anders als in der deutschen Presse – sehr ausführlich über seine versuchte Kandidatur und die anschließende Debatte darüber in Deutschland gesprochen. Auf der Nachrichtenwebseite muhabirce.de sagt er ganz erstaunliche Dinge, die so gar nicht dazu passen, was man von ihm ansonsten in deutscher Sprache jahrelang wahrgenommen hat. Man sieht auf einmal eine ganz andere Facette von Alboga. Unter der fast schon martialischen Überschrift „Die Deutschen haben mir meine akademische Karriere zerstört“ lässt Alboga richtig Dampf ab.

Auf die Frage, wie er das Verfahren um seine Kandidatur und die Ereignisse danach bewertet, gerät Alboga regelrecht ins Schwärmen über seine Eindrücke während seiner Bewerbungsphase für einen Kandidatenplatz in der Türkei: „Angesichts dessen, was ich in der Türkei gesehen habe, habe ich gedacht: ‚Die europäischen Medien hätten dort sein müssen und das selbst sehen müssen.‘ Während der Befragung der Kandidaten in Konya waren alle zusammen, mit Kopftuch und ohne Kopftuch, mit Bart und ohne Bart, mit Krawatte und ohne Krawatte – also ein Fest der Demokratie. Dafür hat sich jede Mühe gelohnt, hätte ich doch die dortigen Erlebnisse mit einer professionellen Kamera aufgenommen und an die ganze Welt verteilt. Also die Anschuldigungen, in der Türkei gäbe es keine Demokratie, die Menschen könnten ihre Meinung nicht äußern, sind plötzlich vor meinem Auge verschwunden“, so Alboga fast schon romantisch.

Die Bewerbungsphase habe ihn positiv beeinflusst, als er gesehen habe, wie die Menschen sich ein demokratisches Wettrennen lieferten, um auf die Kandidatenliste zu kommen. Alboga: „Vor diesem Anblick, den ich gesehen habe, habe ich mich sehr gefreut, habe ich mich glücklich gefühlt. (…) Ich habe einen prächtigen Beitrag zur Demokratie gesehen. Ich kann sagen, dass nur diese Erfahrung während des Kandidaturverfahrens all die Mühe Wert war.“

Ob Herr Alboga auch in deutscher Sprache so über die Zustände in der Türkei geschwärmt hätte? Man weiß es nicht.

In dem Beitrag spricht er ohne konkret zu werden, dass er als türkischer Abgeordneter viele Probleme der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen zu lösen versucht hätte. „Hätte das Schicksal mir das Abgeordnetenmandat zuteilwerden lassen, wäre ich mit einem Fuß in der Türkei und mit einem Fuß in Deutschland gewesen.“  Die bisherigen Abgeordneten hätten nach einer bestimmten Zeit die Sorgen der hierlebenden Türkeistämmigen vergessen. Er aber hätte es anders gemacht. Er hätte diese Probleme angepackt. Da artikuliert Alboga bewusst oder unbewusst genau das, was das eigentliche Problem in bestimmten Verbandsstrukturen ist. Probleme in Deutschland sollen von Abgeordneten in der Türkei gelöst werden. Dieses Verständnis sagt damit aus, dass die Türkeistämmigen keine Einheimischen sind, sondern Türken im Ausland. Ein führender Funktionär eines Verbandes, der den Anspruch hat eine in Deutschland verortete Religionsgemeinschaft zu sein, wird mit diesem Geist diese Haltung nicht glaubwürdig vertreten können. Auch wenn man in seiner PR dies zu kommunizieren versucht. Diese Widersprüche kommen – ob man will oder nicht – immer zum Vorschein.

Auf muhabirce.de zeigt sich Alboga unbeeindruckt von der medialen Kritik der letzten Wochen und das Scheitern seiner Bewerbung: „Bedaure ich diese Erfahrung, die ich gemacht habe? Ich bedaure überhaupt nichts.“

Ohne einen Hauch von Selbstkritik ist der Schuldige für Alboga klar. Die deutschen Medien hätten ihn sehr verletzt. Die deutschen Medien hätten eine „sehr hässliche, eine sich nicht gebührende Haltung an den Tag gelegt“. Alboga weiter: „Es hieß dann, er hat sich für Erdogan entschieden, er hat sich für die AK Partei entschieden. Aber das war eine Haltung, die wir in den deutschen Medien ohnehin gewohnt sind.“ Wieso die Aussage, Alboga habe sich für Erdogan und die AKP entschieden, falsch oder hässlich sein soll, erklärt er nicht. Eine Bewerbung für einen Kandidatenplatz bei einer Partei ist eine klare parteipolitische Selbstverortung. Dazu sollte er schon stehen. Das beim Namen zu nennen als hässlichen Angriff zu bezeichnen, erscheint mir als ein Rätsel. „Sie sind mir mit dem Gipfel an Vorurteilen begegnet. Was ist mit den deutschen, den europäischen Medien passiert? Sie berichten mit derartigen Vorurteilen und einseitig, ehrlich ich finde kein Wort, um das zu erklären, deshalb bin ich sehr traurig.“

Die Frage, ob er zu DITIB zurückkehren werde oder nicht, lässt Alboga offen. Aber – und an der Stelle wird es besonders bizarr – setzt er an, und behauptet, dass „die Deutschen“ seine akademische Karriere verbrannt hätten. Denn: „Früher habe ich drei Jahre lang an den theologischen Fakultäten der Universitäten Osnabrück, Münster und Frankfurt unterrichtet. Aufgrund der Diskussionen um die Imame und die DITIB in den Medien, sind leider meine wissenschaftliche und politische Karriere in Deutschland beendet. Mit dem gegenwärtigen Staatspräsidenten war ich per Du, es war sogar zwischenzeitlich Thema, dass ich für die SPD als Abgeordneter kandidiere, all diese Chancen sind jetzt verloren. Von nun an sind meine Chancen, in Deutschland politisch oder wissenschaftlich Karriere zu machen, beendet.“

Zwischen den Aussagen in der deutschen Öffentlichkeit mit jenen in der türkischen Community klafft ein Graben, der für Außenstehende skurril wirken muss. Gerade ein Funktionär, zu dessen Arbeitsschwerpunkt lange Jahre der Bereich „Dialog“ gehörte bei der DITIB, muss zumindest ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit an den Tag legen, wenn er wirklich ein Interesse an dem Ansehen und der Außenwirkung seines Verbandes hat. Wenn durchgehend in deutscher Sprache andere Dinge kommuniziert werden als in türkischer Sprache, hat das auch konkrete Auswirkungen auf die Gemeinden und den Verband insgesamt. Dieser Schaden wird wissentlich in Kauf genommen, wenn dieser Geist in der Funktionärsebene weiter existiert. Nicht den Hauch einer kritischen Selbstreflexion, nicht den Hauch von einem Hinterfragen der eigenen Handlung, aber volle Überzeugung, dass „die Medien“ und „die Deutschen“ verantwortlich für das Desaster sind, vor der die DITIB heute steht. Das strahlt nicht nur auf die DITIB-Gemeinden in der Basis aus, die ehrenamtlich Tag für Tag ihre Gemeindearbeit versuchen zu schultern, sondern das strahlt auch auf die muslimische Community insgesamt aus. Deswegen darf man davor nicht die Augen verschließen, in eine Opferhaltung sich zurückziehen, immer die Schuld bei den bösen anderen suchen, sondern muss dazu eine Haltung zeigen. Dies ist gerade an jene gerichtet, die jegliche Kritik am Zustand der DITIB und diesem Typus des Funktionärs als ‚Verrat‘ und ‚Rückgratlosigkeit‘ diffamieren. Es ist und bleibt verantwortungslos diesem Treiben kommentarlos zuzuschauen, ja sogar dem auch noch zu applaudieren.

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